Es duftet nach Liebe (German Edition)
Stadtmensch.
Steffen ist vermutlich längst weggezogen, arbeitet, wie so viele andere, in Hamburg oder Berlin.
Zu dem Reitstall bin ich in den zwei Jahren, die ich hier wohne, nie gefahren. Carolins erster Freund beendete ihre Pferdeleidenschaft und fortan waren Jungs wichtiger.
Ich bremse an der Bundesstraße ab. Es ist noch etwas zu früh für den Freitagsfeierabendverkehr, doch die LKWs rauschen mit hoher Geschwindigkeit heran.
Ich schüttle den Kopf, als von der Wiese neben der Straße erneut der Duft von getrocknetem Gras herüberweht, und fahre los.
Bremsen quietschen. Wie in Zeitlupe sehe ich ein Auto seitlich auf mich zukommen. Er wird mich erwischen, ich kann nicht ausweichen. Ein harter Ruck erschüttert mein Fahrrad und ich kippe um, rolle mich zusammen und spüre harten Asphalt unter mir, der in weiche Erde übergeht.
Stimmen. Die Welt dreht sich. Sonnenstrahlen stechen mir in die Augen.
Benommen richte ich mich auf. Scheiße, meine Hand brennt höllisch und ich kann sie nicht bewegen. Mein Fahrrad liegt neben mir: nur noch ein verbogener Haufen Blech. Auf der Kreuzung steht ein Fiat quer und der Fahrer steigt gerade aus, sieht mich entsetzt an. Er muss hinter mir gewesen sein und hat mich beim Abbiegen wohl übersehen.
Andere Autos halten. Jemand ruft die Polizei und einen Krankenwagen.
Der Schmerz in der Hand ebbt nur wenig ab, aber ich kann aufstehen. Das Handgelenk ist gerade, nur drei Finger kann ich nicht bewegen. Die sind vielleicht gebrochen. Schöner Mist.
Der Autofahrer entschuldigt sich tausend Mal; ich höre kaum zu. Mir ist schon klar, dass es keine Absicht war, nur davon wird mein Rad auch nicht wieder heil.
Die eintreffenden Sanitäter sind überbesorgt, aber mir geht es gut. Bis auf das Handgelenk. Dennoch bestehen sie darauf, mich ins Krankenhaus nach Ludwigslust zu fahren. Der Autofahrer gibt mir seine Adresse und Telefonnummer und wird mein Rad daheim abliefern.
Großartig, ich muss also nachher mit dem Bus nachhause fahren. Wirklich ein toller Abend. Und der Duft von Heu ist die ganze Zeit über penetrant in meiner Nase und in meinem Kopf. Ich bin froh, ihm endlich zu entkommen.
Im Krankenhaus geht alles nach Routineplan. Mir geht es wirklich gut, ich kann mich an alles erinnern und auch mein Kopf tut nicht weh. Gehirnerschütterung hab ich zum Glück nicht. Alles weitere sind nur Prellungen. Nachdem Röntgenbilder von meiner Hand angefertigt wurden, muss ich mich im Wartezimmer gedulden, bis der zuständige Arzt Zeit hat. Mit mir warten noch drei andere Patienten: ein alter Mann, eine junge Frau mit ihrem Sohn und eine weitere Frau, die strickt.
Der Junge hat sich wohl ebenfalls an der Hand verletzt und jammert. Seine Mutter versucht ihn bestmöglich zu trösten.
Seufzend betrachte ich die angebotene Lektüre. Klatschzeitschriften allesamt. Großartig. Hoffentlich geht es schnell.
Der Kleine beruhigt sich bald und fängt an, sich zu langweilen. Wer würde es ihm verdenken? Der alte Mann ist als nächstes dran und humpelt hinaus. Ich blättere lustlos und einhändig ziemlich ungeschickt in einem Magazin. Ich könnte jetzt so schön daheim im Garten sitzen und den Hühnern zugucken. Resignierend schaue ich aus dem Fenster. Ob ich am Montag wieder arbeiten kann? Wenn die Hand gebrochen ist, werde ich auf jeden Fall nicht mit dem Fahrrad fahren können. Ach Mann, ich werde eh nicht damit fahren können: Es ist im Arsch!
Herbwürzig kitzelt der entfernte Duft von geschnittenem Gras meine Nase. Und da ist noch eine Note drin, die ich fast vergessen habe. Überrascht wende ich den Kopf. Ein junger Mann kommt herein, ein kleines Mädchen an der Hand, die augenblicklich zu der jungen Frau rennt und sie umarmt. Ihre Mutter lächelt erleichtert.
Der Geruch wird stärker und ich starre den Mann wie paralysiert an.
Er ist es. Eindeutig. Meine Nase täuscht mich nicht. Auch wenn die Haare länger sind, er einen leichten Bartschatten hat und … noch größer geworden ist.
„Steffen! Du bist ein Schatz.“ Die junge Frau umarmt ihn. Dornen reißen Wunden, die ich längst verschlossen glaubte. Ich kann nicht wegsehen, mein Herz spielt Dampflok.
Ich wollte ihn nie wiedersehen und sehnte mich jede Minute nach ihm.
„Danke, dass du Donna abgeholt hast. Linus hat sich die Hand in der Autotür eingeklemmt. Wir waren leider auch noch nicht dran.“
„War doch selbstverständlich“, antwortet Steffen. Seine Stimme rollt wie Donner über mich, sein Anblick sind flackernde Blitze
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