Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Titel: Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
niedermachen, das wäre das letzte, was er wünschte. Im Augenblick wollte er sich an Mathilde halten, versuchen, sie nicht loszulassen, versuchen, sich nicht abzuwenden, um ihr keinen Schlag zu versetzen. Ihr weiter zuhören, wie sie mit ihrer kaputten Stimme kreuz und quer erzählte, ihr seiltänzerisches Leben, immer an der Kippe, immer in Gefahr, auf die Schnauze zu fallen, man sollte ihr heute abend ein Schmuckstück mitbringen, um ihr eine Freude zu machen, eine Brosche aus Gold, nein, keine Brosche aus Gold, ein Hähnchen in Estragon, sie mag sicher lieber ein gutes Hähnchen in Estragon, ihr zuhören, wie sie in ihrer pompösen Art irgendwas sagen würde, und abends mit lauwarmem Champagner in den Taschen seines Schlafanzugs einschlafen, wenn man Taschen hat, wenn man einen Schlafanzug hat, man sollte sie nicht ihrer Augen berauben, man sollte sie nicht niedermachen, man sollte ihr ein gutes Hähnchen in Estragon kaufen.
    Er mußte jetzt auf der Höhe des Kommissariats angekommen sein, aber natürlich war er sich nicht sicher. Es gehörte noch nicht zu den Gebäuden, die er sich gemerkt hatte. Er würde fragen müssen. Zögernd tastete er mit der Spitze seines Stocks den Bürgersteig vor sich ab, während er langsam weiterging. In dieser Straße war er von seinem Weg abgekommen, das war ganz offensichtlich. Warum hatte Mathilde ihn hierher geschickt? Er fing an, tiefen Überdruß zu empfinden. Und wenn ihn einmal tiefer Überdruß überkam, konnte danach Wut kommen, die sich aus der Tiefe seines Magens in tödlichen Anfällen bis in die Kehle hinauf fortsetzte und anschließend das ganze Gehirn ausfüllte.
    Danglard kam ziemlich elend und mit einem Brummschädel zur Arbeit. Er sah den riesigen Blinden, der nicht weit vom Eingang des Kommissariats stehengeblieben war, auf dem Gesicht hochmütige Verzweiflung.
    »Kann ich Ihnen behilflich sein?« fragte Danglard. »Sind Sie vom Weg abgekommen?«
    »Und Sie?« entgegnete Charles.
    Danglard fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Üble Frage. War er vom Weg abgekommen?
    »Nein«, antwortete Danglard.
    »Falsch«, sagte Charles.
    »In was mischen Sie sich ein?« fragte Danglard.
    »Und Sie?« entgegnete Charles.
    »Scheiße«, sagte Danglard. »Kommen Sie doch allein zurecht.«
    »Ich suche das Kommissariat.«
    »Das trifft sich gut, ich bin von da. Ich bring Sie hin. Was wollen Sie dort?«
    »Der Mann mit den Kreisen«, sagte Charles. »Ich komme, um Jean-Baptiste Adamsberg zu sprechen. Er ist Ihr Chef, oder?«
    »Richtig«, bemerkte Danglard. »Aber ich weiß nicht, ob er schon da ist. Vielleicht treibt er sich gerade irgendwo herum.
    Kommen Sie, um ihn zu informieren oder um ihn nach etwas zu fragen? Damit Sie's gleich wissen, der Chef gibt nie klare Auskünfte, ob man danach fragt oder nicht. Wenn Sie also Journalist sind, können sie genausogut zu Ihren Kollegen dahinten gehen. Sie sind schon eine ganze Bande.«
    Sie erreichten das Hoftor des Gebäudes. Charles stolperte über die Stufe, Danglard mußte ihn am Arm zurückhalten. Hinter seinen Brillengläsern, in seinen toten Augen spürte Charles eine flüchtige Wut in sich aufsteigen. Er sagte sehr schnell:
    »Ich bin kein Journalist.«
    Danglard runzelte die Stirn und drückte sich mit einem Finger auf die Stirn, obwohl er sehr gut wußte, daß man Kopfschmerzen nicht dadurch vertreibt, daß man mit dem Finger draufdrückt.
    Adamsberg war da. Danglard hätte nicht sagen können, daß er an seinem Schreibtisch arbeitete, nicht einmal, daß er saß. Er war dort abgesetzt worden, zu unbeständig für den großen Sessel und zu komprimiert für die weiße und grüne Umgebung.
    »Monsieur Reyer wollte Sie sprechen«, sagte Danglard.
    Adamsberg hob den Blick. Er war von Charles' Gesicht noch mehr überrascht als am Vorabend. Mathilde hatte recht, die Schönheit des Blinden war beeindruckend. Und Adamsberg bewunderte die Schönheit bei anderen, obwohl er es aufgegeben hatte, sie für sich selbst zu ersehnen. Übrigens erinnerte er sich nicht daran, sich je gewünscht zu haben, an eines anderen Stelle zu sein.
    »Bleiben Sie auch, Danglard«, sagte er. »Es ist lang her, daß wir uns gesehen haben.«
    Charles tastete nach den Konturen eines Sessels und setzte sich.
    »Mathilde Forestier kann Sie heute nicht zur Metro Saint-Georges begleiten, wie versprochen«, sagte er. »Das ist die Nachricht. Ich überbringe sie nur und gebe sie weiter.«
    »Und wie denkt sie, daß ich den Mann mit den Kreisen ohne sie entdecken kann,

Weitere Kostenlose Bücher