Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord
zog sich irgendeine Hose und irgendein Hemd an, wie Danglard kurz darauf bemerkte, der einige Minuten vor ihm an Ort und Stelle war. Beim Hemdzuknöpfen hatte er Samstag mit Sonntag verknöpft, wie sein Vater immer sagte, und er bemerkte es. Während er sich die Leiche ansah, bemühte sich Adamsberg also, die Knöpfe seines Hemds in die richtige Ordnung zu bringen, indem er sie zunächst alle öffnete und sich nicht im geringsten der Unschicklichkeit bewußt war, als er sich auf dem Boulevard Raspail vor den Typen des dortigen Kommissariats wieder anzog. Sie sahen ihm zu, ohne etwas zu sagen, es war halb vier Uhr morgens. Wie bei anderen Gelegenheiten, in denen Danglard spürte, daß der Kommissar Zielscheibe deutlicher Kommentare werden würde, hatte er das Bedürfnis, ihn allen Widerständen zum Trotz zu verteidigen. Aber hier konnte er nichts tun.
Adamsberg knöpfte also in aller Ruhe sein Hemd fertig zu, während er die Leiche betrachtete, die noch weit übler zugerichtet war als die von Madeleine Châtelain, wie ihm im Licht der Scheinwerfer schien. Die Kehle war so tief durchtrennt, daß der Kopf des Mannes dadurch fast verdreht worden war.
Danglard, dem ebenso schwummerig war wie vor der Leiche von Madeleine Châtelain, vermied es, allzulange hinzusehen. Der Hals war sein empfindlicher Punkt. Allein die Vorstellung, ein Halstuch zu tragen, ängstigte ihn, als ob ihn das ersticken könnte. Er rasierte sich auch nicht gerne unter dem Kinn. Deshalb sah er in die andere Richtung, in Richtung der Füße des Toten, von denen der eine neben dem Wort »Victor« lag, der andere neben den Worten »dich vor«. Gepflegte Schuhe, sehr klassisch. Danglards Blick folgte dem langgliedrigen Körper, prüfte den Schnitt des grauen Anzugs, registrierte, daß die etwas förmliche Kleidung noch durch eine Weste ergänzt wurde. Ein alter Arzt, vermutete er.
Adamsberg besah sich die Leiche von der anderen Seite, auf der Höhe der Kehle des alten Mannes. Angeekelt verzog er die Lippen, angeekelt von der Hand, die diesen Schnitt ausgeführt hatte. Er dachte an den großen, dummen, geifernden Hund, und das war alles. Sein Kollege vom 14. näherte sich und schüttelte ihm die Hand.
»Kommissar Louviers. Ich hatte noch nicht die Gelegenheit, Sie kennenzulernen, Adamsberg. Unangenehme Situation.«
»Ja.«
»Ich hielt es für angebracht, Ihren Sektor sofort zu benachrichtigen«, betonte Louviers.
»Ich danke Ihnen. Wer ist der Herr?« fragte Adamsberg.
»Ich vermute, ein pensionierter Arzt. Das sagt uns jedenfalls die Arzttasche, die er bei sich trug. Er war zweiundsiebzig Jahre alt. Er heißt Gérard Pontieux, geboren im Departement Indre, ein Meter neunundsiebzig groß, kurz, im Augenblick gibt's nicht mehr als die Daten aus seinem Personalausweis.«
»Das konnte niemand verhindern«, sagte Adamsberg und schüttelte den Kopf. »Es ging nicht. Ein zweiter Mord war vorhersehbar, aber nicht zu vermeiden. Alle Polizisten von Paris hätten nicht ausgereicht, um ihn zu verhindern.«
»Ich weiß, was Sie denken«, sagte Louviers. »Der Fall war seit dem Mord Châtelain in Ihrer Zuständigkeit, und der Schuldige ist nicht geschnappt worden. Er hat zum zweitenmal zugeschlagen, und so was ist nie angenehm.«
Das stimmte, es war ungefähr auch das, was Adamsberg dachte. Er hatte gewußt, daß dieser weitere Mord passieren würde. Aber nicht eine Sekunde hatte er gehofft, irgend etwas dagegen tun zu können. Es gibt Stadien der Ermittlung, in denen man nichts anderes tun kann als abwarten, daß das Irreparable geschieht, um zu versuchen, daraus etwas Neues zu schließen. Adamsberg hatte kein schlechtes Gewissen. Aber es schmerzte ihn wegen dieses armen Alten, ein gepflegter netter Mann, der da auf der Erde lag und die Folgen seiner Machtlosigkeit zu tragen hatte.
Am frühen Morgen wurde die Leiche im Leichenwagen abtransportiert. Conti war gekommen, um im ersten Tageslicht Fotos zu machen und den Kollegen vom 14. abzulösen. Adamsberg, Danglard, Louviers und Margellon saßen um einen Tisch im Café Ruthène, das gerade die Läden geöffnet hatte.
Adamsberg blieb schweigsam und verunsicherte seinen wuchtigen Kollegen vom 14., der seinen Blick verschleiert, seinen Mund krumm und sein Haar wirr fand.
»Diesmal brauchen wir die Café-Inhaber gar nicht zu fragen«, sagte Danglard. »Das Café des Arts und das Ruthène machen früh zu, vor zehn. Der Mann mit den Kreisen kennt sich mit verlassenen Ecken aus. Er war schon mal hier in der
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