Es geht uns gut: Roman
reden werden. So ein Idiot. Alles, was recht ist. Er hält sich in ihr eine Putzfrau, eine Köchin, eine Gouvernante für die Kinder und ab und zu eine Geliebte, die aber nicht befriedigt wird. Die seltenen Male, die er sich für seine frühzeitigen Ejakulationen entschuldigt, sind gezählt. Und die Verwandlungskunst geht weiter: Wäscherin, Büglerin, Tippse. Und alles sehr billig. Die Früchte des langen Kampfes für die Emanzipation der Frau. Wohin diese Entwicklung bisher geführt hat, dafür ist Ingrid der gemeingültige Beweis. Da pfeift sie auf den ganzen Linksruck, der ist nur auf den Straßen laut. Aber zu Hause heißt es: Psst!
Mit einer Zigarette zwischen den Lippen wäscht Ingrid einen Teil des Geschirrs ab. Nachdem Peter sich beleidigt in den Keller verzogen hat, legt sie sich langgestreckt und mit spitz angewinkeltem Ellbogen zurück auf die Couch und verfolgt an einer Haarsträhne vorbei das weitere Geschehen im Fernsehen, ohne daß ihr die Passagen, die sie versäumt hat, abgehen. Sie ist mit dem Film zu gut vertraut, als daß sie nicht in der Lage wäre, das Fehlende aus dem Gedächtnis einzufügen. Außerdem hat während der dreiundzwanzig Jahre, die der Film jetzt alt ist, auch in Ingrids Kopf eine gewisse Fragmentierung stattgefunden. Es gibt Lieblingsszenen, die ein Eigenleben abseits der Filmhandlung führen, während andere Szenen, ebenfalls abseits der Filmhandlung, ihre Bedeutung ganz und gar eingebüßt haben, totes Material, das genausogut herausgeschnitten werden könnte, wenn es nach Ingrid ginge. Diese Szenen läßt sie teilnahmslos ablaufen und nutzt die Flaute zum Nachdenken über Alltagssorgen, über die vergangene Nacht, zum Träumen. Dann wieder ist sie wie gefangen von einer Einstellung, deren Vertrautheit ihr fast gespenstisch vorkommt.
Wenn sie zurückschaut, stellt sie dieselbe Fragmentierung an ihrem eigenen Leben fest. Es gibt darin keine durchgehende Ordnung, keine strenge Chronologie. Ihr Leben kommt ihr vor wie eine auf den Haufen geworfene Ansammlung scheinbar in sich abgeschlossener Etappen, zu denen auch ihr Auftritt im Film gehört. Sie hat dies gemacht, sie hat jenes gemacht, und alles in allem hat sie nichts gemacht, was ihr in der nächsten Etappe sonderlich weitergeholfen hätte.
Ingrid schläft, aber wieder nur einige trümmerhafte Minuten. Die heimkehrenden Kinder und das Bellen des Hundes reißen sie heraus. Philipp hat einen knieweichen Schritt, seine Finger in den nassen Fäustlingen sind weiß, trotzdem lächelt er mit seinem vor Kälte gespannten Gesicht und macht zweimal »Brrr«. Ingrid zieht ihn aus, frottiert ihn ab, schleppt ihn in sein Zimmer, wo er darauf besteht, seinen Universitätspyjama als Trainingsanzug zu tragen. Seit dem Heiligen Abend hat er zu Hause nichts anderes mehr angehabt als seinen Universitätspyjama , auch tagsüber, da er auf Sissi mit ihrem Universitätspullover neidisch ist, wohingegen Sissi, damit sie nachts nicht nachsteht, sich im Universitätspullover niederlegt, mit dem einzigen Unterschied, daß sie den Pullover im Bett ohne Unterhemd trägt. Ein Volltreffer.
– Morgen muß der Pyjama gewaschen werden, sagt Ingrid.
Sie hilft Philipp hinein, fordert ihn auf, mit nach unten zu kommen und sich im Fernsehen die Mama anzuschauen, wie sie als Mädchen in Schwarzweiß und im Schürzenkleid ausgesehen hat. Wie war eigentlich die Farbe? Sie laufen polternd die Treppe hinunter ins Wohnzimmer. Dort hat Sissi bereits auf den anderen Sender gedreht. Ingrid schnauzt sie an, sie solle sofort zurück auf den Film drehen. Sissi gehorcht bereitwillig in gespielter Ahnungslosigkeit, anschließend erzählt sie, daß Philipp beim Rodeln, als er bei einem gewissen Hansi mitfahren durfte, sich um zehn Zentimeter Breite fast den Schädel entzweigeschlagen hätte. Hansi, sagt Sissi, sei urgestopft (dürfte sie beeindrucken) und insulinpflichtiger Diabetiker (dürfte sie ebenfalls beeindrucken).
– Kannst du nicht ein einziges Mal für fünf Minuten dein Mundwerk schonen, bittet Ingrid.
Philipp geht nach draußen und kommt mit Sissis orange getönter Skibrille zurück. Er schildert den Film in Farbe und äußert die Hoffnung, daß er die Mama, wenn sie ins Bild komme, mit Hilfe der Skibrille besser erkennen werde. Sissi verpaßt Philipp einen Schlag auf den Kopf, er höre doch, daß die Mama fernsehen wolle, dann gibt sie ihm den Rat, sich zum nächsten Weihnachten Buerlecithin zu wünschen, ganz oben auf der Liste, damit er ruhiger werde
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