Es geht uns gut: Roman
Antwort:
– Jetzt bist du ja schon angezogen.
Der Herr Kellerbewohner. Er weiß gar nicht, was er wegschmeißt, wenn er diese Zeit mit seinen Kindern versäumt.
Ingrid spannt die Gummis am Ende von Philipps Overall-Hosenbeinen über die Sohlen seiner Stiefel, zieht die Schnur, an denen die Fäustlinge hängen, durch die Ärmel des Oberteils, zieht Philipp die Pudelmütze über den Kopf. Sie legt den Hund an die Leine und gibt Peter einen Kuß auf die Wange. Peter hält ihr auch die andere Wange hin, so daß sie ihm vor den Kindern ein zweites Bussi geben muß. Darauf soll es ihr nicht ankommen. Peter verspricht, die Silvestertelefonate zu erledigen und im Kohlenkeller etwas Ordnung zu schaffen. Ingrid ist überzeugt, daß er, drei Minuten nachdem sie gegangen sind, vorm Fernseher sitzen wird. Bestimmt gibt es irgendwo Sport, dann kann er sich dafür entschädigen, daß ihn seine Kinder, wie er unlängst jammerte, seinen Fernseher nur nutzen lassen, wenn es ihnen paßt. Der Ärmste. Kann einem richtig leid tun. Lauter Menschen, die ihn nur brauchen, wenn er das Geldbörserl offen hat.
– Türkenschanzpark oder Schönbrunn? fragt Ingrid.
– Schönbrunn, tönt es einhellig.
Auch Ingrid ist Schönbrunn lieber, weil dort die Wege besser geräumt sind und das Gehen leichter fällt. Sie packt Kinder und Hund in den Wagen, wechselt zwei Sätze mit der Nachbarin, die das Tischtuch zum Fenster hinausschüttelt – auch jemand, der Angst hat, daß die Ehe krachen geht; ihr Mann zieht dem Hörensagen nach die Unterhosen seines verstorbenen Vaters an, was allerdings bitter ist –.
Und los geht’s.
Eigentümlich geduckt sind die Gebäude von Schönbrunn diesmal hingestellt, dick und voll. Das Gelb der Fassaden wirkt gebleicht vom niedergedrückten Schornsteinrauch, nach dem die Luft schmeckt. Die Alleen sind fast menschenleer, die Hecken aufgepackt mit Schneehauben, und die kahlen, schmutzigen Laubbäume stehen hart gezeichnet im weißgrauen Licht, Krähen im Geäst, schwarze Päckchen, wie vom Christkind hineingeworfen. Die Luft ist kalt. Am Himmel treiben graue Wolken, und Philipp, der seinen Bob nicht zu Hause lassen wollte, zieht ihn quietschend über den Rollsplitt und das steifgefrorene Laub im hartgetretenen Schnee. Manchmal läuft Philipp voran, er schaukelt in seinem dick wattierten Overall mit den armsteifen Bewegungen eines Pinguins. Er blickt unablässig umher. Man hört Böllerschießen und Musik aus der Gegend des Tiergartens oder des Platzls, Geräusche, die rasch verhallen über dem Schnee, als kämen sie von weiter weg. Eine wunderbare Stimmung, findet Ingrid. Sie genießt es und sagt sich: Wenn das neue Jahr so schön wird wie dieser Nachmittag, wäre es die reinste Freude. Wer weiß, vielleicht frißt das Schwein des Glücks die schlechten Vorzeichen noch einmal weg.
Sissi läßt sich von Cara kreuz und quer über die Gehwege zerren, und Ingrid hat Zeit zum Sinnieren. Nur leider kommt sie auf keinen grünen Zweig, jedenfalls nicht dort, wo sie darauf aus ist, die momentane Situation zu verbessern. Sie hat einfach zu spät eingesehen, daß es blöd ist, immer die perfekte Ehefrau abgeben zu wollen. Statt sich die damit verbundenen Plackereien mit Küssen und Rosen aufwiegen zu lassen, hätte sie ihren Mann besser rechtzeitig zum Mithelfen erzogen, etwas, wofür er jetzt nicht mehr zu gewinnen ist. Er putzt sich ab nach dem Motto, einmal die Dumme, immer die Dumme. Ingrid bestreitet nicht, daß sie sich das teilweise selbst anlasten muß, weil sie Peters Bequemlichkeit zuerst gefördert und dann nicht energisch genug unterbunden hat. Wobei (das ist alles sehr kompliziert) ihr ohnehin kein Beispiel einfällt, das Peters Fähigkeit belegen würde, in Beziehungskonflikten etwas sowohl zu verstehen als auch Konsequenzen daraus zu ziehen. Da dürfte bereits seine Mutter in der Erziehung das eine oder andere falsch gemacht haben.
Und das ist wieder typisch für sie: Kaum hat Ingrid einen wunden Punkt an Peter aufgedeckt, empfindet sie Mitleid mit ihm. Der Tod von Frau Grauböck in der Nacht fällt ihr ein (seltsam, daß sie es zwischendurch immer wieder vergißt) und daß Peter, als seine Mutter starb, erst fünfzehn war, im Krieg, das frühe Kriegspielen, das dürfte sich bei ihm ebenfalls negativ eingeschrieben haben, auch wenn der vierzigjährige Mann und der Bub von damals schwer zusammenzubringen sind, wo genau und worin sie sich treffen und was schon davor angelegt war und was erst hinterher
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