Es geht uns gut: Roman
dazugekommen ist. Das Davor und Danach vernachlässigt man meist. Krieg ist leichter, und noch leichter ist Krieg und Kindheit, obwohl keiner in Krieg und Kindheit steckengeblieben ist. An ihrer eigenen Person kann sie wenig erkennen, von dem sie überzeugt ist, daß es ohne Krieg anders geworden wäre. Bei Peter hingegen? Da führt der Komplex geradewegs in ihrer beider Eheschlamassel, jedenfalls, wenn Ingrid es beim Nachdenken bequem haben will. Dann sieht sie den kleinen Peter, wie er seinen verwundeten Arm hält, wie ihm die Rotzglocke von der Nase hängt, wie er sich sagt (sie glaubt es): Alle sind gegen mich, die einen schießen auf mich, und die andern lassen mich im Stich, allen voran die Familie.
Ein dunkelbraunes Eichkätzchen mit weißem Brustfleck taucht am Weg auf, bleibt stehen, hebt den Kopf und schaut dem heranwackelnden Philipp entgegen. Das Eichkätzchen scheint für einen Moment zu überlegen, welche Richtung es nehmen soll. Dann kracht ein Böller über den hoch ummauerten Flächen, und das Eichkätzchen springt in eine dichte Hecke. Philipp läuft zu der Stelle, wo das Tier verschwunden ist, schaut hinein, und Sissi gibt ihm einen Stoß gegen das Hinterteil, so daß er kopfüber in die Hecke fällt. Sehr hoppadatschig . Ingrid weist Sissi zurecht. Philipp rast hinter seiner lachenden Schwester her wie Mord und Brand. Die ist ihm nicht zu groß zum Raufen. Er schreit:
– Du blödes Viech.
Doch da Philipp darüber das Weinen vergißt, kann auch Ingrid über die Situation lachen. Am liebsten würde sie Sissi den Rat geben, sich diese Art für ihre späteren Männer zu bewahren.
Kurz darauf übernimmt Ingrid das Ziehen des Bobs, weil Philipp allmählich die Puste ausgeht. Na bitte, da ist die Welt für ihn wieder heil.
– Du bist die beste Mama, keucht er, schon wieder unbekümmert (das ist ein guter Zug an ihm). Ein blinkendes Tröpfchen hängt an seinem Nasensteg, es scheint ihn aber nicht zu stören. Ingrid hält ihn am Nacken fest, putzt ihm die Nase. Sie denkt: Das einzig Gute, was dabei herausgekommen ist, sind die Kinder.
Die Probleme begannen in den Jahren des zweiten Studienabschnitts, als Ingrid bis an den Rand des Nervenzusammenbruchs schuftete und von Peter keine Unterstützung bekam. Das ging schon in Hernals los, noch bevor Peter die Lizenzen seiner Spiele verkaufte. Mit dem Verkauf der Lizenzen Ende 1960, während der Schwangerschaft mit Sissi, hoffte Ingrid, daß jetzt ein besseres Leben beginnen werde. Statt dessen wurde es schlimmer. Ingrid lag im Krankenhaus, Peter war beruflich unterwegs, weil er seine Straßenkreuzungen zu fotografieren hatte. Sie preßte und schwitzte, und von draußen drang ständig Schlagergesang von einem Frühschoppen herein, Trude Herr, Vico Torriani, das machte sie ganz fertig. Dann Peters viel zu kurze Besuche auf der Wochenstation und die Behauptung, daß es über seine neue Arbeit nicht viel zu erzählen gebe. Die vielen einsamen Spaziergänge am Wilhelminenberg mit dem Kinderwagen und später das langweilige Entenfüttern mit Sissi, als Ingrid eigentlich hätte lernen sollen. Einmal, da waren sie zu viert beim Konsum, 1965 oder Anfang 1966, Philipp war noch kein Jahr, und Sissi mußte speiben, genau auf Philipp in den Kinderwagen und auf die Waren, die Ingrid dort abgelegt hatte. Philipp schrie wie am Spieß. Und Peter? Lief rot an bis unter die Haare, schaute sich um, ob jemand ihn und seine Familie beobachtete. Vorsorglich nahm er zwei Schritt Abstand, um seinen fehlenden Anteil an der Misere für jedermann kenntlich zu machen. Wenn etwas schiefging, war immer Ingrid schuld, weil Peter sich ja einen Dreck um etwas kümmerte. Schöne Logik. Ingrid könnte Dutzende Beispiele nennen, lauter Dinge, die sie nicht vergessen kann. Ihr geht es da wie einem Elefanten, jedenfalls solange diese Vorfälle nicht verarbeitet sind. Und verarbeiten kann sie erst jetzt. Denn erst jetzt, seit Philipp im Kindergarten ist, findet Ingrid wenigstens manchmal die Zeit, sich die Gedanken zu machen, die sie sich schon damals dringend hätte machen müssen. Die Crux bestand darin, daß sie in dem Strudel aus Alltagssorgen nicht zur Besinnung kam und deshalb das Ausmaß, wie wenig Unterstützung sie von Peters Seite erhielt, gar nicht zu würdigen wußte. Eben weil sie sich alleine durchboxen und drüberhanteln mußte. Die Angst, sich vor den Eltern eine Blöße zu geben, tat den Rest. Und so, zwischen Hammer und Amboß, vergingen die Jahre.
Nicht einmal eine
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