Es geht uns gut: Roman
der liebe Herrgott hat gestern nichts kommen lassen, so wird auch heute nichts kommen.
Die Luft in der Fleischhauerei macht auf Peter den Eindruck, als ob sie Fett ausdünste, so dick ist sie. Der Laden scheint auf Hartwürste und Jausenversorgung spezialisiert zu sein. Zwei schwitzende Warmhalteöfen in dem ansonsten kühlen Raum bieten drei verschiedene Sorten Leberkäse zur Auswahl. Peters Magen knurrt. Er spürt den Schweiß in den Achselhöhlen und auf der Brust. Auf der Kreuzung hatte es dreißig, wenn nicht vierzig Grad.
– Ein Desaster, sagt die Frau: Nichts für schwache Nerven.
Mit routinierten Handbewegungen schneidet sie sechs Semmeln in Hälften. Nebenher läßt sie sich über Einzelheiten aus, soweit sie darüber Bescheid weiß. Einige Hinweise, deren Wirklichkeitswert Peter bedeutsam erscheint, hält er schriftlich fest, zum Beispiel, daß der Begrenzungspfosten vis-à-vis an der flachen Straßenecke nie lange stehe, bis er wieder umgefahren sei.
– Ich hätte es mir denken können, sagt er.
Einen Augenblick später, nachdem die Frau mit einem Seufzen zum Ende ihres Berichts gelangt ist, fügt er hinzu:
– Das sind Straßen ohne Verstand.
– Die Menschen haben keinen Verstand.
Die Frau schneidet zwei große Essiggurken der Länge nach in Scheiben, verteilt die Scheiben, legt die Dachhälften auf die belegten Böden. Sie wickelt die fertigen Brote in Butterpapier und schiebt sie in einen Papiersack. Peter läßt zwei Flaschen Mineralwasser hinzugeben. Die Frau reicht ihm die Tasche.
Beim Zahlen sagt er:
– Manche Straßen bilden die unerwünschte Eigenschaft aus, daß sie den Verkehr genau dort beschleunigen, wo sie ihn eigentlich drosseln sollten. Im speziellen Fall dieser Kreuzung müßte man entweder die Verkehrsbeziehungen im spitzen Winkel verbieten oder die Einmündung dieser Straße (er redet mit den Händen) so nach links biegen, also nach Süden, daß sie frontal auf die Hauptstraße stößt. Hand in Hand damit würde es sich empfehlen, mit der Einmündung dieser Straße einige Meter zurückzurücken. Der Vorteil dabei wäre, daß man auf diese Weise für die Hauptstraße den Platz für eine Vorsortierungsspur zum Ein- und Ausfädeln der Linksabbieger gewinnen würde und auf dieser Straße Platz für eine Verkehrsinsel. Mit Hilfe der Verkehrsinsel könnte man die kritischen Fahrströme ausbremsen und ihnen gleichzeitig die Spur führen. Das würde nicht nur die Leistungsfähigkeit der Anlage erhöhen und die Übersichtlichkeit wesentlich verbessern, sondern auch die meisten Kollisionen vermeiden helfen. Voraussetzung für eine derartige Ausbildung wäre allerdings, daß man dieses Haus niederreißt.
– Nette Aussichten.
Die Miene der Frau bleibt ziemlich ausdruckslos. Sie gibt Peter das Wechselgeld heraus, schiebt anschließend die Kassenlade mit dem Bauch zu und wischt sich die Hände an einem Geschirrtuch ab.
– Ist Ihnen schon aufgefallen, daß Stiefmütterchen vorzugsweise auf Gräbern und auf Verkehrsinseln angepflanzt werden? fragt sie.
– Ist mir noch nie aufgefallen.
– Dann denken Sie drüber nach.
Peter wendet sich zur Tür.
– Besten Dank für die Auskunft.
Er tritt hinaus in die Hitze und Helligkeit, wo ihm vom plötzlichen Kontrast gelbe Lichtpünktchen vor den Augen tanzen. Kurz kneift er die Augen zu, und als er sich nochmals umwendet, weil ihm die Fleischhauerin unter die Tür gefolgt ist, spürt er die gleißende Sonne wie einen Peitschenhieb im Rücken. Das Haus scheint sich über ihn zu neigen, so kommt es ihm vor, und im gleichen Moment glaubt er zu wissen, daß die Frau das Haus verkaufen wird, sowie man ihr ein vernünftiges Angebot macht. So eingekeilt zwischen zwei Straßen, kein Platz vor der Tür. Eine solche Gelegenheit kommt nicht wieder.
– Mit Parkplätzen sind Sie hier auch nicht verwöhnt. Seien Sie froh, sagt er nüchtern.
Er wendet sich ab, im Geruch des warmen Asphalts. Er geht über die Stelle, wo sich vor drei Tagen der junge Mopedfahrer zu Tode geblutet hat. Dabei stellt sich Peter vor, wie die Kreuzung nach einem verkehrsgerechten Umbau aussehen könnte. Ja, wenn er es sich überlegt, stimmt es tatsächlich, daß die Rabatten der Verkehrsinseln gerne mit Stiefmütterchen bepflanzt sind. Er meint auch zu wissen, woran das liegt. Nicht an den Geistern der Toten, die auf den blutigen Kreuzungen nach den Brillen, Hüten und Schultaschen suchen, die an den Straßenrändern zurückgeblieben sind. Es liegt wohl daran,
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