Es geht uns gut: Roman
Gesellschaft nicht erlaube, in Zuchthäusern konzentriert sei, das verleihe der Sache einen gewissen Reiz: Ist doch so?
– Sehr reizvoll, sagt Sissi.
Und Peter:
– Der beste Beweis dafür ist, daß auch du am liebsten Zigaretten rauchst, die rezeptpflichtige Kräuter enthalten. Die Ursache dieser Verlockung dürftest du ruhig mit etwas mehr Objektivität beleuchten, im Interesse der Selbsterkenntnis.
Sissi sagt nichts darauf. Doch als Philipp sich bei einem Greißler ein Eis holen will und Peter auf der Hauptstraße umdreht, nicht ganz vorschriftsmäßig, zugegebenermaßen (die Gelegenheit war grad günstig), stöhnt sie vernehmlich:
– Der Herr Ingenieur vom Kuratorium für Verkehrssicherheit, alle Achtung.
Wie wurscht ihm das ist. Soll sie meckern, wenn sie was davon hat. Philipp bekommt sein Eis. Schmeckt’s? Und er, Peter, seine Kreuzung. Er findet sie auf Anhieb.
– Jetzt könnt ihr eurem Vater mal zehn Minuten bei der Arbeit zusehen. Bitte um gebührende Aufmerksamkeit.
Er sagt es, als sei es als Scherz gemeint, und in der Tat hat er keine Hoffnung, daß die Blicke seiner Kinder voller Bewunderung auf ihm ruhen werden, vor allem bei Sissi macht er sich nichts vor. Er gesteht sich ein, wieviel ihm ihre Anerkennung bedeuten würde. Wieviel. Er gesteht es sich ein, ist aber vorsichtig genug, sich nichts anmerken zu lassen.
– Auch diese Arbeit muß jemand tun. Immer noch besser als ein Besuch in der Klopapierfabrik.
Peter Erlach, achtundvierzig Jahre alt, wohnhaft in Wien, achtzehnter Gemeindebezirk, Pötzleinsdorfer Straße. Witwer seit vier Jahren, das prägt. Zwei Kinder, siebzehn und zwölf. Er ist Verkehrsexperte, eine Stimme, die in allen einschlägigen Gremien Gewicht hat. Ein schlanker, muskulöser Mann, der bei oberflächlichem Hinsehen für Ende dreißig durchgehen könnte, sich gut bewegt, der eine gelassene, leicht verschleppte Art hat zu reden, eine markante, angenehme Stimme und ein sympathisches Lächeln, aus dem selten ein Lachen wird. Sein Kopf ist schmal mit einer kräftigen Kinnpartie, so daß der breite Mund mehr vor als zwischen den Wangen zu liegen scheint. Seine ebenfalls breite Augenpartie streckt sich unter dichtem, dunkelbraunem Haar, den sauberen Scheitel trägt er auf der rechten Seite. Er ist gut gebräunt, weil im heimischen Keller über der Werkbank eine Höhensonne hängt. Er sieht aus wie ein Mann mit Selbstbewußtsein, wie einer, der sich seiner Wirkung bewußt ist. Dabei ist er ein stiller, nachdenklicher Charakter, der vom Leben nie etwas Besonderes verlangt hat. Vielleicht, daß man ihn in Frieden lasse. Er ist ausgeglichen, besser gesagt kontrolliert. Stimmungen sind für ihn etwas Zyklisches, etwas, das ab- und zunimmt wie der Mond, wofür es Bauernregeln gibt (daß auf Regen Sonnenschein, immer). Er hat keine Freunde, viele Bekannte. Bei seinen Bekannten ist er beliebt. Er gilt als verläßlich, und man hält ihn für klug, obwohl er nicht viel redet. Wo man ihn läßt, neigt er zur Zurückgezogenheit. Ein Einzelgänger, wenn man so will. Einer, der dankbar ist, wenn er sich auf niemanden einstellen muß. Manchmal schläft er mit einer Bibliothekarin der Technischen Universität. Aber weil die Frau verheiratet ist, kommt es ihm als eine Angelegenheit vor, die ihn zu nichts verpflichtet. Eine Mittagspausenbeziehung, die er vor seinen Kindern geheimhält. Kleines Versteckspiel. Bei anderer Gelegenheit, als er weniger umsichtig war, ist er schuldig gesprochen worden, mit seinem noch nicht abgestumpften Interesse an Frauen das Ansehen der verstorbenen Mutter herabzusetzen. Offiziell ist er seither ein vollendetes Muster an Tugend.
Was weiter von Bedeutung ist: Als Entwickler einer allgemeinen Knotenlehre hat er sich internationale Reputation erworben durch den bloßen Hinweis auf Dinge, die eigentlich selbstverständlich sein müßten. Daß man Kreuzungen als aktive, katalysatorische Verteilersysteme zu verstehen hat. Und daß der Sinn einer Kreuzung ihr Gebrauch im Straßenverkehr ist, präziser: daß eine Kreuzung, die geplant und gebaut wird, ihre Realität erst im nachhinein erhält, daß erst der Verkehr, der auf ihr stattfindet, ihr die Rolle zumißt, die sie spielt. Und: Daß es Mechanismen gibt, die den Verstoß gegen Regeln herausfordern, und daß folglich nur eine Kreuzung, die für alle Beteiligten nach den Kriterien der Selbstverständlichkeit funktioniert, eine sichere Kreuzung ist.
Er parkt den Wagen seitlich in der Einfahrt einer Tankstelle,
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