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Es geht uns gut: Roman

Es geht uns gut: Roman

Titel: Es geht uns gut: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
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daß Stiefmütterchen – er mag Stiefmütterchen ebenfalls nicht besonders – billig und dankbar sind. Wie Chrysanthemen. Einen Strauß Chrysanthemen hat er am Vorabend an Ingrids Grab gebracht.
    – Schwups, schon erledigt.
    Die Kinder stürzen sich auf die Salami-Semmeln; wie immer scheint es darum zu gehen, wer seine Brötchen schneller unten hat.
    – Schlingt nicht so .
    Philipp schafft es immerhin, zwischen zwei Bissen die Frage herauszudrücken, ob es eine interessante Kreuzung ist.
    – Was man halt so unter interessant versteht. Zwei Straßen wie Ach und Krach.
    (Wie Bomben und Granaten, wie Fleisch und Blut, wie Rast und Ruh.)
    Bevor Peter in den Wagen steigt, löscht er seinen ärgsten Durst. Er läßt den Tank auffüllen, dann fahren sie weiter, alle drei kauend. Im Radio die 6-Uhr-Nachrichten.
    Daß es im Nationalrat in der letzten ordentlichen Sitzung vor der Sommerpause zu einem Riesenkrach um die von der SPÖ beantragte Novellierung des Arbeiterkammer-Gesetzes gekommen sei. Und daß die sechs ÖVP-Landeshauptleute ihr Ja zur Volksabstimmung über das Atomkraftwerk Zwentendorf gegeben hätten. Großoffensive der Äthiopier gegen Eritrea. Bonn übernimmt den Vorsitz der EG. Hans Krankl werde in den nächsten drei Jahren auf den Rufnamen »Juan« hören. Die Neuerwerbung des FC Barcelona sei am Flugplatz der katalanischen Hauptstadt von 120 Journalisten sowie hunderten Fans stürmisch empfangen worden. Die Sowjetunion bereite einen bemannten Raumflug zum Mars vor. Prinzessin Anne in Wien.
    Philipp, von Peter dazu aufgefordert, rattert die Aufstellung der Mannschaft herunter, die vor einer Woche den amtierenden Weltmeister aus dem Bewerb der Fußball-WM geworfen hat. Philipp nennt die Torfolge inklusive Spielminuten und Torschützen. Er erwähnt den einzigen Spielerwechsel des österreichischen Teams, einundsiebzigste Minute Franz Oberacher für Walter Schachner. Gelb für Kreuz und Sara. Schiedsrichter Abraham Klein, Israel. Es vergeht einige Zeit. Dann will Philipp mit Sissi darauf wetten, welche Farbe das nächste entgegenkommende Auto hat. Er blitzt mit diesem Ansinnen aber ab. Zu kindisch. Die Dramatisierung dessen, was ohnehin geschehen wird. Peter stellt sich ersatzweise zur Verfügung.
    – Weiß.
    – Blau.
    Sie wetten fünfmal. Aber immer liegen sie beide daneben, drum lassen sie es wieder. Philipp nimmt sich ein Asterix-Heft von der Heckablage. Sissi linst auf die sommerliche Landschaft. Peter indes grübelt, wie er eine zwanglose Unterhaltung anbahnen könnte. Womit? Gute Frage. Er setzt zweimal an, hält aber lieber den Mund, ehe er sich neuerlich der Gefahr aussetzt, mit seinen Themen auf Ablehnung zu stoßen. Ist nicht ganz einfach, etwas zu finden, das kein alter Hut ist, den Kindern entgegenkommt und gleichzeitig nicht erwachsenenhaft oder neugierig klingt.
    Er würgt den letzten Bissen seiner zweiten Salami-Semmel hinunter. Dann ein dritter Anlauf, apropos, daß den Fleischhauern, als während des Kriegs Lebensmittel nur auf Bezugsschein zu erhalten waren, von heute auf morgen die wundersame Fähigkeit zuflog, Fleisch auf wenige Gramm genau abzuschneiden, und daß ihnen diese Fähigkeit ebenso plötzlich wieder abhanden kam, sowie das Kartenwesen abgeschafft war. Darf’s ein bisserl mehr sein?
    – Ein erstaunliches Phänomen, nicht?
    Er erntet eine der üblichen spitzen Bemerkungen von Sissi, die sich diesmal auf Ernesto Che Guevara beruft:
    – Der Kapitalismus wird irgendwann an seinen Widersprüchen ersticken.
    Peter nimmt es zur Kenntnis. Sei’s drum. Am Ende ertappt er sich dabei, daß er – zum wievielten Mal? – versucht, anhand der in den Fenstern sich rasch vorbeispulenden Panoramabilder heimisches Kulturgut zu vermitteln, als sich ihnen jenseits der hinter Bäumen verborgenen Mur ein Blick auf den Turm von Schloß Weißenegg bietet. Ein plump getarntes Selbstgespräch, bei dem es, wie bei den Gesprächen mit der toten Ingrid, vor allem darum geht, sich selbst zu umarmen.
    Hinter Wildon erwacht dann auch Sissis Redseligkeit, entweder befallen von Langeweile oder von einem Mitteilungsbedürfnis, das ähnlich unbeholfen ist wie das ihres Vaters. Nachdem sie ihren Bruder angestupft hat, sagt sie:
    – Erklär mir noch mal, warum du Friseur werden willst.
    Philipp schaut von seinem Asterix-Heft auf und sagt:
    – Ich will doch gar nicht Friseur werden.
    – Aber Friseur ist doch ein schöner Beruf.
    – Laß mich in Ruhe, ich will nicht Friseur

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