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Es geht uns gut: Roman

Es geht uns gut: Roman

Titel: Es geht uns gut: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
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Alma ihr einmal zu Weihnachten geschickt hatte, mit Blumenmuster und in dem Baumwollkrepp, der jetzt wieder modern ist. Alma betrachtete Ingrid und war glücklich, wie innerlich strahlend das Mädchen aussah. Sie sprach Ingrid an: Wie schön, daß du auch wieder einmal gekommen bist, wir haben uns seit deiner Hochzeit nicht gesehen.
    Was dann weiter war, weiß Alma nicht mehr, jedenfalls ist sie nicht gleich aufgewacht. Aber danach war nicht das traurige Gefühl vorherrschend, ach, sie ist ja tot, sie ist ertrunken, deshalb hast du sie schwimmen gesehen. Sie empfand vielmehr das Glück, einem Menschen, dem man schon sehr lange nicht mehr begegnet ist, plötzlich gegenübergestanden zu sein und dabei das tröstliche Gefühl zu haben: Sie hat mich nicht vergessen, es liegt ihr also doch noch etwas an mir.
    Eigenartig ist, daß Alma erst ein halbes Jahr nach Ingrids Tod angefangen hat, von ihr zu träumen, und daß diese Träume seither anhalten. Auch von Otto hat sie früher oft geträumt, meistens, daß er aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrt, wo er nie war, weil er mit seinen vierzehn Jahren für die Gefangenschaft viel zu jung gewesen wäre. Diese Träume gingen bis ins Jahr 1957, dann hörten sie plötzlich auf.
    Einmal, sie sieht es noch heute, kam Otto über Ungarn, es war der letzte Traum, den sie von ihm hatte, der stand mit dem ungarischen Aufstand in Verbindung. Sie hörte Schritte. Wer kann jetzt kommen? Es war Otto, er trug seine blonden Haare wieder wie damals, bevor sie ihm beim Jungvolk auf Zündholzlänge geschnitten worden waren. Unter seinen Bubenaugen hatte er blauschwarze Schatten, wie man es von den Heimkehrern aus der Austria-Wochenschau kannte. Alma fragte ihn: Bub, und bist du jetzt wirklich zurückgekommen, und ist es kein Traum wie schon so oft? Da sagte er: Mama, ich bin über Ungarn hergekommen, ich bin erleichtert, daß ich da bin bei euch, es ist wirklich kein Traum. Ich bleibe zu Hause.
    Jetzt hingegen lebt Alma in einem Zustand, als ob all das, was gerade vorfällt, sich nur im Schlaf zutragen könne. Immer wieder glaubt sie, aufwachen zu müssen, aber es ist umsonst, denn ihre Träume spiegeln immer Wünsche wider und nicht Ängste. Daran erkennt sie im Zusammenleben mit Richard auch leicht, daß sie wach ist. Zwicken hilft nichts, davon würde sie nur noch wacher.
    Sie setzt sich auf. Seit einigen Minuten dreht Richard krisenhaft am Radio in der Küche, ohne länger als eine Sekunde in einen Sender hineinzuhorchen. Er muß die Ortsnamen am betreffenden Band schon mindestens drei- oder viermal auf ihr Repertoire an atmosphärischen Störungen geprüft haben, vermutlich um auf diese Weise darauf aufmerksam zu machen, daß er es von Kind auf gewohnt ist, um Schlag zwölf sein Mittagessen serviert zu bekommen. Alma beugt sich über ihr Bein, das wesentlich besser aussieht als noch vor einer Stunde. Sie stemmt sich hoch, geht langsam Richtung Küche. Immerhin, nach der Begegnung mit dem jüngeren ihrer Geisterkinder fühlt sie sich auch innerlich hinreichend wiederhergestellt, den Alltag mit Richard durchzustehen.
    – Wonach suchst du? fragt sie ihn.
    – Nach nichts. Vielleicht nach einem schönen Platzkonzert. Nach Marschmusik.
    Aber gleichzeitig dreht Richard das Radio ab, und anstatt die Küche zu verlassen, wie er es sonst immer macht, wenn Alma kommt, setzt er sich an den Tisch zu einem Kaffee, den er sich selbst gekocht hat.
    Alma merkt, wie ihre Anspannung steigt. Allein Richards Gegenwart beschleunigt ihren Puls, daran ändert auch nichts, daß Richard im Moment einigermaßen auf der Höhe zu sein scheint. Damit er kein Gespräch anfängt, macht sie viel Lärm mit den Töpfen. Das hat den Nachteil, daß die Bilder von Ingrid sich weiter zurückziehen, viel zu schnell, wie auch die Jahre damals zu schnell verstrichen sind. Alma hatte den Kontakt zu Ingrid wieder anschubsen wollen und immer gedacht, daß noch ausreichend Zeit bleibt. Aber in Wahrheit, wenn sie zurückschaut, muß sie sich eingestehen, daß es mehr Mut oder wenigstens mehr Antrieb verlangt hätte, als sie seinerzeit besaß. Dann war plötzlich auch Ingrid tot.
    Die Briefe fallen ihr wieder ein, die sie von Ingrid in ihren letzten Jahren erhalten hat. Das gute Gefühl bricht endgültig weg. Alma fragt sich, wo sie die Briefe hingetan hat. Seit einigen Jahren findet sie sie nicht mehr, trotz mehrfachen Suchens, sie hat sie zu gut versteckt.
    – Wie geht es dir? fragt Richard in eine Pause der

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