Es geht uns gut: Roman
gemeine Logik und so die Lächerlichkeit, die einen bedrängt, zu leugnen und zu sagen, ich bin und bleibe, wer und wo ich bin, solange es mir paßt.
Er fragt sie nicht, nein. Aber hinterher, hinterher, als es vorbei ist, ob sie –.
– Nein, das ist einfach nicht möglich, Philipp, du willst die Gesetze des Lebens über den Haufen rennen.
Johanna streicht Philipp eine schweißfeuchte Strähne aus dem Gesicht. Ihr Blick sagt ihm, es ist hoffnungslos.
– Weil nur Idioten sich nicht ändern. Jeder vernünftige Mensch schaut vorwärts, und um vorwärts schauen zu können, muß man wissen, was hinter einem ist. Du kannst dir nicht das Gegenteil in die Tasche lügen.
Er denkt: Es ist so wenig, ich muß mir gar nicht viel in die Tasche lügen, es paßt auf einen Daumennagel, alles, was ich lügen muß, kann ich auf einen Daumennagel notieren, und der Rest ist so einfach wie das Wetter.
Johanna sitzt über ihm, betrachtet ihn lange, schaut zwischendurch zur Decke oder zum Fenster. Schließlich, als sei alles Denkbare und Mögliche nebensächlich, erinnert sie ihn an sein vor mehreren Wochen geäußertes Vorhaben, in dem Zimmer, in dem sie gerade miteinander geschlafen haben, die Tapeten herunterzureißen. Sie nickt. Philipp stellt sich vor, wie schön es in dem Zimmer sein würde, wenn unter den Tapeten hervorkäme, was er sich wünscht. Verschiedene Anzeichen, wo sich kleine, im Laufe der Zeit schmutzig gewordene Zungen von selbst gelöst haben, lassen einen von Kleister verwischten roten Anstrich erhoffen, der ihn an Marokko erinnert, wo er noch nie war und wohin er nicht gehen will.
– Johanna, sagt er.
Aber nein, das bringt nichts, das ist sinnlos. Er hätte mit dem Satz besser gar nicht erst angefangen.
Johanna fällt das Reden leichter.
– Schau, sagt sie, alles, was du machst, verspricht nicht den geringsten Erfolg. Und was mich am meisten ärgert, ist, daß ich ein Teil deiner Pleite bin. Weil du nichts anpacken willst, bloß mich, aber nicht fest genug.
Geflüster beim Einsickern der Nacht. Er denkt über Johannas Vorwürfe nach, eine ganze Weile lang: Darüber, daß sein letztes Buch nichts eingebracht hat. Die fünf Jahre mit Ella. Ein paar andere Begebenheiten, die teilweise Jahre zurückliegen. Seine Familie, seine Mutter, sein Vater, daß Sissi viel zu jung nach New York geheiratet hat. Und daß auch Johanna in ihrer Ehe stagniert und auf den Schubser wartet, der sie in ein anderes Leben befördert. Er verliert völlig den Überblick. So viel schwirrt ihm im Kopf, und alles zusammen verstört ihn derart, daß er den Faden verliert und nichts erwidert. Er berührt Johannas Busen, flüchtig, und für einen Moment denkt er, daß diese Berührung etwas Dauerhaftes ist, ein ins Endlose wiederholter Augenblick, der sich seine Flüchtigkeit durch die Wiederholung bewahrt und sie zugleich verewigt. Philipp schlingt die Arme enger um Johannas Taille und drückt sein Gesicht in ihre Seite.
In dieser Stellung gerät er über einer Sache ins Grübeln, die er irgendwo gelesen hat: daß sich manche Empfindungen für immer auf der Haut festsetzen, die Kälte der Pistole zum Beispiel, die man im Urlaub an die Schläfe gesetzt bekommt. Er wünscht sich, daß seine Hand ein Erinnerungsvermögen besitzt und sich die Rundungen von Johannas Busen und das Gefühl, das die Rundungen erzeugen, merkt. Als Kind hat Philipp mehrere Wochen lang versucht, seine Zehen zu füttern. Er hat auch die Füße abwechselnd in die Höhe gehalten, damit sie die Welt besser sehen konnten. Sissi hat ihn deswegen noch Jahre später gehänselt, was wohl der Grund ist, weshalb er sich daran erinnern kann oder wenigstens weiß, daß es diese Phase gegeben hat.
Als Philipp wieder aufwacht, ist es dunkel geworden. Johanna liegt nicht neben ihm, er spürt die Abwesenheit ihres Körpers sehr deutlich, aber er riecht und fühlt auch, daß sie noch nicht lange fort ist. Überhaupt hat das Laken etwas sehr Vertrautes. Er sagt sich, wenn Johanna ihre Ankündigung, Franz zu verlassen, jemals wahr macht und dann bestimmt auch ihn verläßt, weil es dann keinen Reiz mehr für sie hat, ihn zu treffen, würde er den Geruch vermissen, den sie bei ihren wenigen Besuchen in den Laken zurückläßt. Der Gedanke, daß dieser Geruch irgendwann nicht mehr zu riechen sein wird, quält ihn, solange er wach liegt, und er begreift, wie leicht es Johanna eines Tages fallen wird, nicht mehr dazusein. Und sei es nur, um ihm seinen Grundfehler zu verdeutlichen
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