Es geht uns gut: Roman
trinkt oder sich schneuzt. Irgend etwas an der Art, wie er lebt, gefällt ihr nicht. Oft wochenlang. Er spürt es, ein ständiges, wie zum Reflex gewordenes Kopfschütteln oder windschiefes Anschauen oder beides, wenn sie gemeinsam in einem Raum sind. Dann dauert es meist nicht lange, bis sie abrauscht. Er hat nicht die leiseste Ahnung warum und wie ihm geschieht, was er falsch macht und was er seiner Tochter eigentlich schuldig bleibt.
Rätsel über Rätsel.
Er beugt sich ins Auto:
– Sollte in den nächsten Minuten etwas weitergehen und ich bin nicht hier, dann schiebt doch den Wagen einfach nach vorne.
Wieder das Zupfen am Gummiring, das hat Sissi sich in den letzten Jahren angewöhnt. Sie sagt trocken:
– Du bist echt klasse, Papa.
Er nimmt die Schmalfilmkamera vom Beifahrersitz, macht sie bereit und filmt Sissi durch das Seitenfenster. Sie streckt ihm, wie schon einmal an diesem Tag, die Zunge raus, glänzend vom Speichel und den Spiegelungen des Fensterglases. Peter tritt auf die Gegenfahrbahn, führt die Kamera in einem weiten Bogen über den Stau. Mit dem Gerät vor dem rechten Auge geht er die Reihe der dicht an dicht stehenden Autos entlang Richtung Grenze, eine gedrängte Galerie verlotterter Gastarbeiterwagen mit hängenden Hinterteilen und überladenen Dachträgern. Dazwischen vereinzelt deutsche und holländische Wohnmobile, an deren Heckträger Klappräder und High-Riser festgeschnallt sind. Es kommen Urlauber ins Bild, die ungeduldig ihre Absätze über den Boden schleifen lassen. Türkische Männer, denen der Stau weniger anzuhaben scheint. Zwei dieser Männer werden von unaufhörlichem Lachen geschüttelt. Geschorene Kinder winken mit beiden Händen. Ein Hund trottet am erweiterten Straßenrand, die weggeworfenen Abfälle beschnuppernd. Und da ist diese Frau, eine Jugoslawin, in deren angekraustem Haar sich ein Insekt verfangen hat und die am Straßenrand mit beiden Händen gegen ihren Kopf schlägt, während ein gleichaltriger, großgewachsener Mann unmittelbar daneben gelassen zuschaut, die Hände im fleischigen Nacken. Das Insekt fällt zu Boden, die Frau zertritt es mit einem Twist der Schuhspitze. Bringt ihre Frisur in Ordnung. Als sie bemerkt, daß sie gefilmt wird, wirft sie der surrenden Kamera eine Kußhand zu. Ehe Peter die Kamera stoppt, schwenkt er sie von rechts nach links und zeigt nochmals die reglose Kolonne der wartenden Fahrzeuge.
– Eine Stunde Warten, sagt die Jugoslawin mit einem verlegenen Lachen. Eine kräftige, kräftig lachende junge Frau in Jeans und Bluse und mit einem sympathischen Mondgesicht.
Der Mann in ihrer Begleitung, nackt bis zum Gürtel in der offenen Fahrertür, kugelt zweimal seine Schultern und sagt:
– Nix sehr schlimm. Geht vorwärts.
Peter bleibt stehen und knüpft eine kleine Unterhaltung an. Im Verlauf dieser Unterhaltung stellt sich heraus, daß die beiden in einer Textilfirma in Ternitz arbeiten. Sie sind unzufrieden mit ihrer Beschäftigung, aber sie finden nichts Besseres. Trotzdem sind sie guter Laune, selbst als sie sich über die Arbeitsbedingungen beklagen. In Fühlung mit der Grenze scheinen sie die Selbstsicherheit wiederzugewinnen, die man ihnen bei der Einreise abgenommen hat.
– Zigarette? fragt der Mann und hält seine Schachtel in Peters Richtung.
– Ich habe es aufgegeben, sagt er.
Dennoch ist die Bekanntschaft bereits nach fünf Minuten über die Grenze dessen gediehen, was man nach wenigen gewechselten Sätzen erwarten darf. Die Situation, im Stau aneinandergekettet, Stoßstange an Stoßstange, erzeugt ein angenehmes Gemeinschaftsgefühl, um so angenehmer, da es zu nichts verpflichtet.
– Wir fahren ins Reich von Josip Broz Tito zum Campen.
Und daß er das Essen vom Kohlengrill mag und den Geruch der Kräuter, die dort, wo sie hinfahren, wild wachsen: Fenchel, Thymian, Rosmarin.
– Ja, ja, sagt die Frau. Darauf das rauhe, dunkelkehlige Lachen: Auch bei uns.
Weiter vorne krachen die Anlasser, die Motoren springen an, es geht drei Wagenlängen weiter.
– Sie uns besuchen in Split mit Frau und Kinder, sagt der Jugoslawe, nachdem er seinen Wagen über die entstandene Lücke bewegt hat.
– Zwei Kinder, sagt Peter, aber nicht Frau.
Sein rechter Zeigefinger weist nach oben, wo sich das Licht allmählich ausdünnt. Die Luft trägt einen dünnen Uringeruch vom Straßenrand heran.
– Oh, sagt die Jugoslawin. Mit ihrer seltsamen Stimme. Dann lächelt sie so freundlich, daß auch Peter lächeln muß. Eine
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