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Es geht uns gut: Roman

Es geht uns gut: Roman

Titel: Es geht uns gut: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
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Nichtstun kann die Dinge zum Eskalieren bringen.
    Prompt, als sei sie es gewesen, die ihm diesen Gedanken eingegeben hat, biegt Johanna um die Ecke. Sie fährt mit dem Fahrrad bis vor seine Füße, und derweil er sich ärgert, daß er den Kopfverband vor zwei Stunden abgenommen und anschließend geduscht hat, sagt sie, sie habe ihm etwas zum Lesen mitgebracht. Sie greift in den Korb an ihrer Lenkstange und überreicht ihm mit strahlendem Gesicht einen Quartband, der außen grün marmoriert ist, keinerlei Prägungen aufweist und mindestens drei Kilo wiegt. Philipp öffnet den Band behutsam und liest laut:
    – Denkschriften der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Mathemathisch-naturwissenschaftliche Classe. Dreiundsiebzigster Band. Jubelband zur Feier des fünfzigjährigen Bestandes der k.u.k. Centralanstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus. Wien 1901.
    Während Johanna stolz darauf hinweist, daß das Buch hundert Jahre alt ist, fragt sich Philipp, ob er in Zukunft über die Liebe nachdenken soll, wenn er über das Wetter nachdenkt (wer will es verstehen?). Er spricht Johanna darauf an. Sie winkt ab. Aber wenig später sagt sie, doch, ja, sie glaube schon, daß es sie erregen würde, wenn er ihr, während sie miteinander schlafen, den Artikel über den Wassergehalt von Wolken vorlesen würde. Sie nickt mehrmals mit zusammengepreßten, leicht vorgestülpten Lippen. Dann, nach einer Pause, nickt sie nochmals und lacht.
    Wie sie lacht!
    – Also: Über den Wassergehalt der Wolken, Absatz, von Doktor Victor Conrad, Absatz, Klammer, aus dem Physikalisch-chemischen Institute der Wiener Universität, Klammer zu, Absatz. Mit fünf Textfiguren, Absatz, Strich, Absatz, Klammer, vorgelegt in der Sitzung am siebzehnten Mai neunzehnhunderteins, Klammer zu, Absatz, Strich, Absatz. Die erste Untersuchung über den Wassergehalt von Wolken und Nebeln hat Schlagintweit im Jahre achtzehnhunderteinundfünfzig angestellt. Er hatte auf der Vincenthütte, Klammer, dreitausendeinhundertzweiundfünfzig Meter, Klammer zu, die an den Hängen des Monte Rosa liegt, längeren Aufenthalt genommen, um den Kohlensäuregehalt der Luft in diesen Höhenschichten zu bestimmen –.
    Kichern Johannas, die sich auf dem Weg zu Philipps Zimmer T-Shirt und BH auszieht.
    – Da Schlagintweit hiebei –
    Neuerliches Kichern Johannas.
    – die zu untersuchende Luft durch Kohlensäure absorbierendes Material leitete und den CO 2 -Gehalt aus der Gewichtzunahme der absorbierenden Substanzen erschloß, mag ihm der Gedanke gekommen sein, Nebelluft durch Wasser absorbierende Substanz, Klammer, Chlorcalcium, Klammer zu, zu leiten und wieder aus der Gewichtzunahme den Gesamtwassergehalt des aspirierten Luftquantums zu bestimmen, dann die in der Luft enthaltene Feuchtigkeit, Klammer, das gasförmige Wasser, Klammer zu, zu subtrahieren und so den Gehalt an flüssigem Wasser zu erhalten, das in Tröpfchenform in der Luft suspendiert ist. Auf diese Weise findet Schlagintweit im Cubikmeter Wolke cirka zwei Punkt neunundsiebzig Gramm flüssiges Wasser.
    Philipp unterbricht den Vortrag und fragt die schon zur Gänze entkleidete und auf dem Rücken liegende Johanna, was sie meine, ob die Wolken mehr dem Regen oder mehr dem Himmel ähneln?
    Ohne ihm eine Antwort zu geben, dreht sie sich herum, nimmt ihm das Buch aus der Hand und wirft es neben die Matratze. Es landet mit einem Knall auf dem Dielenboden.
    Philipp protestiert:
    – Johanna! sagt er: Der Artikel über den Wassergehalt von Wolken soll dich erregen, während wir miteinander schlafen, nicht davor .
    Aber sie hört ihm bereits nicht mehr zu. Er überlegt, was er tun soll, vielleicht die Frage wiederholen, ob sie glaube, daß die Wolken dem Himmel näher sind oder dem Regen, und wer dem Sommer verwandter, der Frühling oder der Herbst. Aber dann sagt er sich, daß das im Augenblick gleichgültig ist und ihn vielleicht nie wieder interessieren wird, ihn bedrücken ganz andere Fragen, und selbst die können warten, bis Johanna und er erschöpft nebeneinanderliegen.
    Diesmal versucht sogar Johanna den Punkt des Ankommens und die Zeit bis zum Weitermüssen so lange wie möglich hinauszuzögern, als wäre sie jetzt, da die Bettwäsche weiß ist, daraus nicht mehr wegzudenken. Philipp findet sie in dem Moment sehr schön, und er würde sie gerne fragen (Johanna, du, sag mal), ob sie auch Momente kenne, in denen die Wände und Böden und selbst die Augenblicke abwesend sind. Ob sie dann auch bereit sei, jede

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