Es geht uns gut: Roman
feste Überzeugung, daß Atamanov auch ihn (Philipp, wär das schön) zu der Hochzeit einladen wird und daß die Argumente für den ehesten Termin lediglich die Einleitung sind.
Philipp sagt:
– Okay, damit es zu keiner Kollision mit Jewgenijs Hochzeit kommt.
Steinwald nickt. Philipp wartet, er schenkt Mandarinenlikör ein. Auch Atamanov nickt. Philipp bekennt, wie sehr ihn der Gedanke erleichtere, daß er bald wieder sein eigener Herr sein werde, noch ehe sie (Steinwald und Atamanov, die Glücklichen) zu der Hochzeit fahren. Die beiden freuen sich mit ihm. Philipp glaubt schon, Atamanov wolle ihm auf die Schulter klopfen und die Einladung aussprechen. Aber nein. Atamanov kratzt sich, das ist wohl ein Tick von ihm, wie andere immer umarmen müssen, hinter seinen wirklich arg abstehenden Ohren und sitzt ansonsten nur so da.
Im stillen sagt sich Philipp (vielerlei und etwa in dieser Reihenfolge), es sei ohnehin nicht vorstellbar, mit diesen Blindgängern der christlichen Seefahrt in die Ukraine zu fahren. Er sagt sich, daß die Straßen in der Ukraine nicht tragfähig seien, zu viele Unsicherheiten. Er sagt sich, daß eine Ortsveränderung nichts anderes sei als ein schlechter Scherz. Und er sagt sich (geradeaus ins Gesicht), daß derlei Ausreden nichts kosten und daß Johanna schon recht hat, wenn sie alles an ihm und seinem Verhalten bis ins Detail hinein bezeichnend nennt. Er hat weniger daran Interesse, etwas zu tun oder nicht zu tun, etwas zu sein oder nicht zu sein, sondern vielmehr Interesse an der Möglichkeit, mit gewissen konventionellen Worten an allerlei Möglichkeiten zu denken.
In Betrachtung von Atamanovs Ohren sagt er sich, daß es Atamanov ganz recht geschieht, wenn er sich keinen Bleistift hinters Ohr stecken kann, ein Bleistift findet dort nämlich keinen Halt, garantiert nicht, und das gönnt er dem baldigen Hochzeiter von Herzen.
Sie spielen bis in die Nacht hinein Tip-kick, nicht das erste Mal, das spart anstrengendes Reden. Obwohl Atamanovs Deutsch nicht hoffnungslos ist, bringt jede Unterhaltung mit ihm alle anderen in Schweiß, und ein befriedigendes Gespräch kommt trotzdem nicht zustande. Philipp ist brillant in der Verteidigung und ein hervorragender Weitschütze, aber vor dem Tor ein Versager, was den Ausschlag gibt, daß er die meisten Partien knapp verliert. Er lacht viel, voll ehrgeiziger Anspannung, und droht seinen Kontrahenten schreckliche Niederlagen an. Atamanov geht ins Bett. Steinwald und Philipp spielen eine letzte Partie, und als sich abzeichnet, daß Philipp auch dieses Spiel verlieren wird, erzählt Steinwald, daß er den Mercedes ausgesprochen billig erstanden habe, weil darin ein Selbstmörder gelegen sei, zwei Sommermonate lang.
Obwohl Steinwald das Thema ganz von sich aus angeschlagen hat, weckt es spürbare Scheu in ihm. Er schwitzt die Einzelheiten regelrecht aus, und zwar brockenweise. Philipp setzt den Ball vor Steinwalds Tor. Aber der Ball kommt mit der gegnerischen Farbe nach oben zu liegen.
– Deshalb die Dufttannenbäume, sagt Philipp.
Steinwald nickt, und nachdem er den Ball in Philipps Richtung gekickt hat, mit nicht mehr Glück als Philipp zuvor, erklärt er, weiterhin widerstrebend, daß er nicht über ausreichend Geld verfüge, den Wagen innen komplett zu erneuern. Bisher habe er lediglich die Vordersitze und Bodenbeläge ausgetauscht und die Türverkleidungen ersetzt. Er macht eine Pause. Philipp schießt den Ball knapp an Steinwalds Tor vorbei. Trotzdem reagiert Steinwalds Torwart nicht. Steinwald richtet sich auf. Der Wagen sei verläßlich, außerdem könne man mit offenen Fenstern fahren. Er macht seinen Abstoß direkt auf Philipps Tor. Philipp lenkt den Schuß zur Ecke ab. In der Erleichterung, noch nicht verloren zu haben, fragt er, wer der Tote gewesen sei. Er wisse es nicht, erwidert Steinwald. In dem Wagen seien persönliche Gegenstände zurückgeblieben, die ihn stutzig gemacht hätten. Aber sonst keine Ahnung.
– Schöne Geschichte, fügt Steinwald seufzend hinzu, läßt sich auf den nächstbesten Stuhl fallen und bleibt dort sitzen. Anstalten, die ihm zustehende Ecke noch auszuführen, macht sein Flügelstürmer nicht.
Philipp kann nicht schlafen. Ihm brennen die Augen, und die Müdigkeit ist zwar da, aber nur in den Gliedern. Versehen mit einer Schachtel Zigaretten, der fast leeren Flasche Kirschrum und der halbvollen Flasche Mandarinenlikör, die mindestens zwanzig Jahre alt ist, aber erst von ihm angebrochen wurde, liegt er auf
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