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Es geht uns gut: Roman

Es geht uns gut: Roman

Titel: Es geht uns gut: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
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welcher Frisur, noch mit den kurzen Haaren, und wo, im Garten, zu Hause, in der Badewanne. Richard stöhnt leise, ein feuchter Rachenton. Alma geht zu ihm zurück. Sie streichelt seine Stirn, die eingesunkenen Schläfen, das flaumige Haar über dem Ohr, die Farbe von den Wundmedikamenten. Hofrat Doktor Sindelka. Auch das. Richards Hand, seine Fingernägel, vor allem die Fingernägel – sie sehen aus wie von den Leichenhänden im »Handkurs« zu Beginn des Studiums. Das Studium. Das sie nie beendet hat. Sie lupft das untere Ende der Bettdecke, betrachtet Richards gebrochenes Bein, das bandagiert und nach außen gedreht in einer gelblichen Schaumstoffschiene liegt. Richards Körper wirkt in seiner Schlaffheit mickrig, fast gewichtslos, die Haut des gesunden Beines mit dem schimmernden Spinnengeflecht der feinen, bläulichen Adern darunter (wie Seidenpapier in Fotoalben), die Knochen ganz lose und hohl und leer. Einmal reißt Richard kurz die Augen auf, dann übermannt ihn der Schlaf, erschöpft vom Alter, gesättigt von den Blutkonserven, er grunzt (zufrieden? hoffentlich zufrieden), das Grunzen mischt sich unter das Gurgeln des vom Sauerstoff aufgeworfenen Wassers. Alma deckt Richard sorgfältig wieder zu. Anschließend betrachtet sie ihren Mann noch eine Weile, dabei denkt sie (traurig? ja, traurig), daß er jetzt zu denen gehört, denen die Geschichte nichts mehr anhaben kann.
    Wieder zu Hause, wird Alma von Minka empfangen, der Katze. Sie kommt zu Alma heran und läßt sich streicheln. Zwischendurch miaut sie fragend, sie springt auf das Sandsteinpodest, das ihr Lieblingsplatz ist, seit vandalierende Jugendliche die Schutzengelskulptur heruntergestoßen und ihr zum Gaudium beide Flügel abgebrochen haben. Die Katze richtet den Schwanz in die Höhe, dreht sich auf dem Podest im Kreis, die Beine eng, während Alma mit der tastenden Hand über den dunklen, knisternden Aalstrich entlang des Rückgrats fährt, hinunter, hinauf, zurück. Ein kurzer Ruck geht durch den kräftigen Körper, die Katze springt vom Podest herab und folgt Alma nach drinnen, eilt ihr maunzend von der Tür an voraus. Alma gibt dem Tier zu fressen. Auch Alma fühlt sich ausgelaugt, hungrig. Sie verschlingt ein großes Wurstbrot, sitzt dann für eine Weile mit abwesendem Blick da, die Ellbogen gegen den Tisch gestemmt, und horcht auf das Krachen der Futterkekse zwischen den Katzenzähnen, auf das Geräusch der geläpperten Milch.
    Bis du kommst, Mama, bin ich zu saurer Milch geworden in einem zersprungenen Glas.
    Als die Katze zu Ende gefressen hat, gähnt sie zufrieden, rülpst, leckt sich das Maul, fährt mit den Vorderpfoten über die Barthaare, es klingt, als würde sie seufzen.
    – Soso. Was ist denn mit dir?
    Nach einem weiteren Gähnen schaut die Katze Alma leer an. Einen Augenblick später trottet sie gemächlich Richtung Veranda, wo sie sich zum Schlafen unter einem der Sessel ausstreckt, als fehle die Kraft zum Hinaufspringen. Alma wechselt ebenfalls den Raum, Richtung Wohnzimmer. Sie läßt sich zum Lesen auf die Ottomane fallen. Aber ihre Konzentration reicht lediglich für zwei Seiten, dann schläft auch sie ein, für eine Stunde, Gott sei Dank und leider: Leider, weil sie die Zeit lieber für etwas verwendet hätte, was ihr Freude macht. Gott sei Dank, weil sie sich nach dem Aufwachen ausgeruht und nicht mehr so zerschlagen fühlt.
    Alma rappelt sich hoch, streckt sich. Nachdem sie die Gardinen vom Fenster weggezogen hat, nimmt sie nochmals das Buch zur Hand, kommt auch gut voran, dreißig, vierzig Seiten, bis sie auf eine Stelle stößt, in der es ums Verzeihen geht (ich trage keinem was nach, Verzeihen ist das Waschmittel des Universums, gegen das Verzeihen ist alles andere machtlos, na ja). Richards Besuch in Gastein drängt sich hartnäckig zwischen die Zeilen, und obwohl Alma, während sie weiterliest, erhebliche Gegenwehr leistet, kann sie den Faden der Handlung nicht mehr festhalten. Nach einer Weile wird es ihr zu bunt, und sie beschließt, der Gastein-Angelegenheit symbolisch ein Ende zu bereiten, indem sie Richards Korrespondenz mit Nessi in den Dachboden trägt. Sie sagt sich, warum sich mit diesen Dingen belasten, das bringt nichts, es ist vorbei. 1952 haben Richard und sie gemeinsam befunden, daß Frau Ziehrer von allen Bewerberinnen die beste Sekretärin abgeben werde. Schade halt, daß es für Alma eine so unglückliche Wahl war. Aber ob sie jetzt traurig ist oder nicht oder nachtragend oder nicht, es ändert nichts

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