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Es geht uns gut: Roman

Es geht uns gut: Roman

Titel: Es geht uns gut: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
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wenn du glaubtest im Recht zu sein, mir war das peinlich, und gleichzeitig war ich stolz auf dich, weil man mir zu Hause nur eingeimpft hatte, Höflichkeit mit Höflichkeit zu überbieten, hingegen, daß es noch etwas anderes gibt als nur Höflichkeit, habe ich von dir gelernt, das ist einer der Gründe, weshalb ich dich jetzt so behandle, als wärst du mir all die Jahre ein treufürsorgender Ehemann gewesen, das erklärt auch, warum mir die Vorstellung, mein Leben mit einem anderen Mann verbracht zu haben, ganz fremd ist, sich das zu wünschen, hieße, sich zu wünschen, ein anderer Mensch zu sein und andere Kinder gehabt zu haben und andere Dinge erlebt zu haben, andere Dinge zu wissen als die, die ich weiß, du, Richard, all diese Dinge und Momente, die ich möglichst lange bewahren will und die es noch immer gibt, wenn ich sie dir erzähle, ich bin so froh, daß ich mit meinen zweiundachtzig Jahren noch halbwegs klar denken kann, sei bloß nicht neidisch, der Zahn der Zeit findet auch an mir genug zu nagen, mehr als mir recht ist, all diese Wehwehchen, und speziell die ewige Müdigkeit, die macht mir am meisten zu schaffen, weißt du, daß immer alles viel mehr Zeit in Anspruch nimmt, als ich dafür veranschlage, was ich früher im Vorbeigehen erledigt habe, ist mittlerweile zu einer Prozedur geworden, als müßte ein ständiger Ausgleich stattfinden, je weniger es zu tun gibt, desto länger muß es dauern, damit meine Vollbeschäftigung erhalten bleibt, ein fleißiger Gaul wird nicht fett, kann sein, aber müde, ich sag’s dir, kaum je, daß ich das Plansoll, das ich mir am Morgen setze, erfülle, ich hab immer alle Hände voll zu tun, und trotzdem wird die Arbeit nicht weniger, der ganze Strauß von morgens bis abends, da fällt mir ein, daß auch die Kinder einmal Türkenbund abgerupft haben, es war während des Krieges bei der Josefswarte, also ganz in der Nähe vom Parapluieberg, ich hatte dort mit den Kindern Farn ausgegraben, und Otto, der hatte oft solche Ideen, puderte mit den Staubgefäßen des Türkenbunds Ingrids Nase ganz dunkel, Otto war damals so zwölf, und Ingrid entsprechend jünger, sieben, wenn ich daran denke, mein Gott, dann stauben die Stempel der Blumen wie im Traum, damals hatte die Sache aber einen Haken, stell dir vor, zu meiner Überraschung war die Farbe kaum wegzubringen, als Ingrid am nächsten Tag in die Schule gehen wollte, du hast sie geschimpft, sie sähe aus wie ein Ameisenbär, sie solle sich schämen, das hast du gesagt, zu Ingrid, deiner Tochter, sie hieß Ingrid, wenn du dich anstrengst, erinnerst du dich, es ist nicht schwer, du hattest vor Jahren eine Tochter, sie hieß Ingrid, und deine Tochter hat wieder eine Tochter, Sissi, das ist deine Enkelin, streng dich an, du hast Enkel, Sissi und Philipp, deine aufgeweckte Nachkommenschaft, Sissi und Philipp, Sissi hat sich vor etlichen Jahren blicken lassen und Fragen über ihre Mutter gestellt auf der Suche nach ihren Wurzeln, damit sie sich in New York wohler fühlt, von sich selbst hat sie nicht viel preisgegeben, und die obligate Geburtstagskarte von ihr habe ich in diesem Jahr auch nicht erhalten und auch keine Urlaubskarte, ich weiß nicht, welchen Schluß ich daraus ziehen soll, vielleicht, daß sie nicht auf Urlaub war, oder, was wahrscheinlicher ist, daß es die erste von weiteren Karten ist, die nicht kommen werden, was das Mädchen, nein, sie ist eine junge Frau, laß mich nachrechnen, Richard, sie ist bereits siebenundzwanzig, Moment, achtundzwanzig, sie wird ihre ersten Stürze auch hinter sich haben, man könnte die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, was sie nur so lange in New York macht mit der halben Erdkugel zwischen sich und Wien, sie ist in New York, Richard, sie ist Journalistin, Soziologin, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, sie hat eine Tochter, die heißt, wunder dich nicht, Parsley Sage Rosemary and Thyme , such dir einen aus, Parsley Sage Rosemary and Thyme , nicht Thyme, das wäre ein sehr komischer Name selbst in dieser Familie, deinen Enkel, Philipp, ob er noch weiß, wie gerne er als Kind ein Stück der geschleuderten Bienenwaben auskaute, ich habe ihn unlängst im Fernsehen gesehen, ich bin mir fast sicher, daß er es war, er hat Ähnlichkeit mit dir, er ähnelt dir, du hast die dominanteren Gene als ich, der Mund, die Augenpartie, die Kopfform, das kommt aus deiner Linie, auch das politische Engagement, stell dir vor, er hat gegen Spekulanten und für mehr Wohnraum demonstriert,

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