Es geht uns gut: Roman
Begegnung. Wie schon beim gemeinsamen Mittagessen empfindet er die Situation als ziemlich verrückt. Das Verhältnis ist ohne Zukunft, und trotzdem ist da ein enormer Reiz, der anhält und anhält und von dem ganz unklar ist, wozu er sich auswachsen wird. Im Moment: Er weiß nicht, es muß ein Ende haben, und zwar rasch, er hat keine Begabung für die Unordnung, betrüblicherweise, einerseits. Andererseits wird alles unkalkulierbar, und er mag es nicht, wenn sich die Dinge seiner Kontrolle entziehen.
– Werden weiterhin Truppen in die Stadt verlegt? fragt Alma.
– Wer Augen hat zu sehen, der sehe, antwortet Richard.
Er nimmt die zweite Liege, die außen an einem Stützbalken der Pergola lehnt. Noch während er die Liege auseinanderklappt, fügt er dem Gesagten hinzu:
– Apropos Augen auf : In der Klosettabteilung der Mansarde ist die rechte Seite des Fensters mit dem Blech nicht dicht genug abgedeckt, so daß Wasser eindringt und der Fensterrahmen und auch der Balken darunter faul geworden sind. Man sieht es, wenn man sich hinausbeugt.
Alma räkelt sich bäuchlings auf ihrer Liege, in einem weißen Sommerkleid mit blauen Punkten und Puffärmeln, diese große, gelassene und trotz ihres grobknochigen Körperbaus mehr lunare als ländliche Schönheit. Sie blättert in ihrem Buch einige Seiten nach vorne, um zu sehen, ob das Kapitel bald zu Ende ist, sie schließt das Buch und legt es in den Schatten unter ihrem Stuhl. Ihre Augen sehen vom Lesen schläfrig aus. Sie hebt die Brauen und läßt den Blick, schräg hoch, länger als sonst auf Richard verweilen.
– Ich beuge mich nicht zum Klosettfenster hinaus. Warum sollte ich das tun?
– Sei so gut und laß einen Spengler kommen, er soll es in Ordnung bringen. Meinetwegen kann er nach eigener Einschätzung alle Blechteile des Hauses minisieren und streichen. An der Nordseite ist die Wand entlang der Rinne ständig feucht. Kann sein, daß die Rinne beschädigt ist, man muß es sich gründlich ansehen.
– Soll ich Frau Mendel fragen? Vielleicht will ihr Schwiegersohn kommen.
Richard setzt sich als Schutz gegen die Sonne seine Kapitänsmütze auf und macht es sich auf der Liege bequem. Die Bespannung gibt unter der Belastung ein knarzendes Geräusch von sich. Er sagt:
– Ich bin vor ein paar Tagen auf der Hietzinger Hauptstraße mit ihr zusammengetroffen, und ich kann nicht behaupten, daß sie ausgesprochen freundlich war.
– Frau Mendel?
– Ja, Frau Mendel.
Alma räkelt sich und atmet tief ein, bis ihre Lunge ganz von Gartenluft angefüllt ist.
– Ich nehme halt an, man wird im Verkehr mit ihr in nächster Zeit die Lage berücksichtigen müssen, in der sie sich neuerdings befindet. Sollte sie deswegen schlechte Laune haben, mich würde es nicht wundern.
Sie schließt die Augen.
– Wie wahr, wie wahr, grunzt Richard.
Diese Art Logik, denkt er, ist Almas Stärke, außer ihr kennt er niemanden, der sich in der Befindlichkeit anderer wie in einem vertrauten Element bewegt. Alma scheint mit diesem Talent auf die Welt gekommen zu sein, mit den Dingen im kleinen Finger. Diese Gabe ist etwas, was ihn in ihrem Fall beunruhigt, was er in seinem Fall gerne für sich hätte. Er selbst wird meistens nicht sonderlich schlau aus seinem Gegenüber, auch nicht aus Alma, die von einer immer gleichen, schwierigen Ruhe beherrscht wird. Oft, wenn er wüßte, was in ihr vorgeht, wäre ihm leichter, und er würde im Umgang mit ihr vielleicht mehr als nur ein paar eckige Alltäglichkeiten zustande bringen. Ohne Alma, glaubt er, wäre das Leben trostlos. Was ohne sie wäre, kann er mit letzter Bestimmtheit nicht sagen, aber er stellt sich vor, daß es trostlos wäre. Auf einmal fallen ihm eine Menge Dinge über sie ein, an die er schon lange nicht mehr gedacht hat und die seine Gereiztheit abklingen lassen: Daß sie vor neun Jahren, als sie einander kennenlernten, behauptete, eine moderne junge Frau zu sein, und daß sie zum Argwohn seines Vaters das Haar schon damals sehr kurz trug. Richard öffnet nochmals die Augen, schon ganz schläfrig, er wirft einen heimlichen Blick zu Alma hinüber. Sie hat ihre Sonnenbrille aufgesetzt und liest wieder in dem Roman von Schnitzler, zwischendurch mit einem Bleistiftstummel an den Rand schreibend, diese geheimen Zeichen, deren Sinn er nicht ergründen kann. Ob sie wohl manchmal ihrem Studium nachtrauert? Nein. Und wenn doch? Ein bißchen vielleicht. Als sie schwanger wurde –. Wie war das damals? Sie hat es auf die ihr
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