Es geht uns gut: Roman
gewordenen Hand über die Wange. In dem Moment tritt Frieda aus der Verandatür, ein Bier in der Hand, über das ein Glas gestülpt ist. Nachdem sie Richard das Bier gereicht hat, hilft sie Alma mit Ingrid, die vor Anstrengung rot angelaufen ist, deren Weinen jetzt aber nachläßt.
– Bis zur Hochzeit ist es wieder gut, verspricht Alma nochmals.
Ingrid versteckt sich im Kittel von Frieda. Frieda ist mittlerweile in die Knie gegangen und murmelt etwas Unverständliches in ihrem Weinviertler Dialekt. Sie klemmt Ingrid zwischen ihre Schenkel, und Ingrid läßt sich mit zwei Handvoll Wasser, die Frieda aus der Gießkanne nimmt, folgsam den Rotz aus dem Gesicht waschen. Frieda trocknet das Gesicht des Mädchens mit dem Ende ihres Kleides ab, und da der Stoff nicht für alles gleichzeitig herhalten kann, bietet sich Richard der Anblick eines nackten Schenkels. Abermals gehen Richard Bilder durch den Kopf, die zarte Haut an den Innenseiten, diese sanft hügelige Landschaft aus Muskeln und Fett, und das rötliche Haar, das sich in einer schmalen Linie bis unmittelbar zu Friedas After zieht. Er hat alles genau vor Augen. Doch die Folge ist keineswegs ein wollüstiges Gefühl, und wenn doch, ist dieses wollüstige Gefühl, Teil des Traurigen an seiner Lage, das ihm in die Kehle steigt. Indem er noch zu Frieda hinüberschaut, läßt er mechanisch den Patentverschluß seines Biers aufschnappen, er bemerkt nicht, daß Ingrid, über Friedas Schenkel hinweg, zurückschaut.
– Bumm! sagt sie.
– Bumm! sagt auch Richard. Das kann einen wirklich in den Irrsinn treiben, stöhnt er bei sich. Er beäugt das Kind, dessen Wangen unter den Augen noch ein wenig glänzen, dort, wo sich die Tränen auf dem faltenlosen Gesicht flächig ausgebreitet haben. Die Tatsache, daß so eine kleine, zu nichts zu gebrauchende Kreatur seine Tochter sein soll, verwundert ihn jeden Tag mehr.
– Gut geschlafen? fragt Alma.
Im ersten Moment, als ihm seine Dienstreise in den Sinn kommt, ist er drauf und dran zu behaupten, daß er sich das Nickerchen redlich verdient habe. Doch rechtzeitig erinnert er sich, daß die Tage mit den Kollegen von der NEWAG für sein nachmittägliches Schlafbedürfnis nur teilweise verantwortlich sind.
– Danke der Nachfrage, murrt er.
Alma gesellt sich zu ihm und nimmt einen kräftigen Schluck vom Bier. Sie sagt:
– Der Schießplatz in Penzing wird neuerdings fast jeden Tag genutzt.
Richard horcht. Hinter dem monotonen Scharren eines nachbarlichen Handrasenmähers vernimmt er die dumpf verhallenden Schläge, die den Himmel zu perforieren scheinen wie nachfedernde Wellpappe.
– Kann sein, sie lernen auf neues Gerät um. Kann auch sein, sie sind einfach froh, daß sie mit der Munition nicht mehr so sparsam wirtschaften müssen wie unter den Unsrigen.
Alma stützt sich am oberen Steg von Richards Lehne ab:
– Die Unsrigen hätten ruhig auch in den Straßen mit der Munition mehr knausern dürfen.
Richard sucht Almas Blick. Seiner Ansicht nach ist sie der Typ, bei dem sich die Falten zuallererst zwischen den Augenbrauen ansiedeln.
Laut sagt er:
– Wenn man gewußt hätte, wie es weitergehen wird, hätte man sich das eine und andere Scharmützel sparen können und besser die Zeit mehr genossen.
– Frau Löwy behauptet, die warten nur den Frühling ab, dann gibt es Krieg.
Er nickt mit sinnender Miene, obwohl er diese Ansicht etwas zu dick aufgetragen findet. Doch erst am Vortag bei der Zusammenkunft in Ratzersdorf hat er sich sagen lassen, was er jetzt wiederholt:
– Es wäre ihnen zuzutrauen.
An Eigenem setzt er hinzu:
– Der Himmel möge es verhüten.
– Löwys gehen nach London zu ihrer älteren Tochter. Sie suchen einen Käufer für das Haus. Dem Vernehmen nach soll ein Verwandter von Paula Wessely Interesse bekunden.
Richard greift unter seinen Liegestuhl nach der Reichspost:
– Ich hoffe, das Milieu bleibt so ruhig, wie es ist. Bin gespannt, wer sich hier alles einnisten wird.
Die Drangsalierung der Sudetendeutschen, heißt es, geht weiter. In Ungarn dürfe die politische Windstille nicht als sorgenfreie Sommerluft gewertet werden. Feierliche Eröffnung der Deutschen Rundfunkausstellung in Berlin durch Goebbels, die größte bisher erlebte Leistungsschau auf dem Gebiet des Rundfunks. Wollen das stärkste Rundfunkland der Welt werden. St. Jean de Luz, angeblich hielt der katalanische Bolschewikenausschuß eine Ministersitzung ab, eingehende Erörterung der militärischen Lage in
Weitere Kostenlose Bücher