Es geht uns gut: Roman
malt, murmelt sie jedes Wort Silbe für Silbe vor sich hin. Richard, am Treppenabsatz, den Hut in der Hand, versucht mit schräggeneigtem Kopf aus dem in die Diele dringenden Gemurmel einzelne Wörter herauszulösen. Er horcht angestrengt, dabei wird ihm bewußt, daß man Wünsche haben kann, die einander direkt widersprechen: Den Wunsch, Alma nicht zu betrügen, und den Wunsch, in die Küche zu gehen und das Kindermädchen aufzufordern, den Brief später zu Ende zu schreiben. Er besinnt sich darauf, wie Frieda am Nachmittag vor seiner Abreise im Garten eine Decke ausgebreitet und sich in die Sonne gelegt hat, um im Freien den Schlaf nachzuholen, der ihr in der Nacht zuvor entzogen worden war. Sie schmierte sich mit Creme ein, und solange sie damit beschäftigt war, hatte Richard sie betrachtet, ihre kurzen dunkelblauen Hosen, das bunte, quergestreifte Ruderleibchen und das weiße, auf beiden Seiten verknotete Tuch am Kopf. Vorne ließ das Tuch einen Teil der roten Haare sehen, den Stolz der ganzen Person, auf der rechten Seite schaukelten die verknoteten Enden des Tuches vor Friedas kräftigen Brüsten. Jetzt, in der Erinnerung, kommen ihm ihre Brustwarzen wie runzlige Stielaugen vor, die ihm mit seltsamem Grimm über Tage hinweg und auf Umwegen über Ybbs und Ratzersdorf nachsehen bis hierher.
Was geschieht? Was in den letzten Monaten viel zu oft geschehen ist: Daß sich der Vizedirektor der städtischen Elektrizitäts-Werke mit einer Hutblume unmöglich macht, Dr. Richard Sterk, Ende dreißig, doch kraft seines Amtes und seiner Würde ein gereifter Mann, der um sein Versagen weiß und trotzdem nicht in der Lage ist, dem Ganzen ein Ende zu machen. Er kommt von diesem Mädchen nicht los, obwohl es allerhöchste Zeit wäre. Sooft er den Beschluß faßt, daß es das definitiv letzte Mal sein wird oder gerade ist oder war, so oft sehnt er den Augenblick herbei, an dem er erneut mit Küssen über diese kinderspeckige Weinviertler Molligkeit herfällt. Er will es und will es gleichzeitig nicht. Bereits mit dem warmen, rauhen Kleid in der einen Hand, wenn er unter Friedas Achseln riecht, wenn er mit der anderen Hand die Speckröllchen streichelt, dort, wo der Büstenhalter einschneidet (der rote Büstenhalter, der auf der Vorderseite heller ist als auf der Rückseite): Wenn er diesen BH öffnet und Friedas weiße Brüste herausquellen und Frieda ihm währenddessen die Namen ihrer zwölf Geschwister psalmodiert: Da schwört er dem Mädchen heftig ab, so wahr ich hier stehe, um es kurz darauf ebenso heftig zu nehmen. Diesmal dreht er sie herum, sie beugt sich bereitwillig nach vorn und die Sommernacht und das Zirpen der Heuschrecken und die Dünste der Küche und das Knallen einer Fliege am gekippten Fenster – und – und – die wie von einer obszönen Feuchtigkeit glänzenden Ausläufer von Friedas durchgebogenem, durchgedrücktem Rücken im Licht der Deckenlampe und das Erlöschen der Glanzpartikel, als Richard sich nochmals nach vorn beugt, um Friedas dicke Brüste zu berühren. Dann, mit den Händen ihre Hinterbacken auseinander- und hochschiebend, während Frieda in ihr rechtes Handgelenk beißt, weil ihr gerade ein Stöhnen ausgekommen ist, stößt er hastig in diese wohlig warme, hinter dem borstigen Haarbüschel versteckte Höhle hinein, von alles überflutender Lust getrieben und von nicht minder heftiger Reue geplagt. Mit dem beunruhigenden Unterschied, daß die Lust hinterher rasch abklingt, die Reue jedoch bleibt. Die Reue kommt mit, als Richard sich mit angehaltenem Atem neben Alma ins Bett schiebt. Sie nimmt nicht ab mit dem Rasierschaum, den Richard sich in der Früh aus dem Gesicht schabt, und sie bohrt in seiner Magengrube, während er im Amt telefonisch mitteilt, daß er an diesem Tag nicht kommen werde, weil er die Dienstreise genausogut daheim aufarbeiten könne. Das trifft sogar zu, ist ihm normalerweise trotzdem kein hinreichender Grund für eine englische Woche. Vielmehr hat er beschlossen, diesen Samstag mit Alma und den Kindern zu verbringen und nebenher einen Weg ausfindig zu machen, wie unauffällig beendet werden kann, was nie hätte beginnen dürfen. Er will nicht den Rest seines Lebens in solcher Unordnung verbringen, das fällt ihm nicht im Traum ein. Oft empfindet er eine solche Abscheu gegen sich, und weil er Abscheu gegen sich empfindet, auch eine Abscheu gegen Frieda, daß es ihn Überwindung kostet, sich im eigenen Haus von einem Zimmer ins nächste zu bewegen. Ich darf kein
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