Es geht uns gut: Roman
den Füßen spüren. Vielleicht wird aus dem Wartesaal der Möglichkeiten bald eine Konstellation treten, die Richards Wünschen und Talenten mehr entspricht als das hier . Der Gedanke an die sich ständig ändernden politischen Verhältnisse scheint ihm mit dieser Hoffnung zu tun zu haben (womöglich begeht er gerade den Fehler seines Lebens), aber auch der Gedanke an das Wäschegeschäft und an Frieda. Ihm ist klar, die Welt wird sich weiter wandeln, mehr, weniger. Und obwohl es alles in allem nicht glaubhaft scheint, daß die Umstände, die er für sich wünscht, ausgerechnet in diesem Moment und auf diese Weise ihren Anfang nehmen, wird er selbst so bleiben, wie er ist, und auf eine zufällige Übereinstimmung mit einer jetzt noch ungewissen Zukunft warten.
Müßte, sollte, könnte.
Er horcht über seine Gartenmauer hinaus. Von fern sind die Klänge einer abendlichen Blasmusik zu hören, wie beinah jeden Tag, Hörner, Posaunen und Kontrabässe. Dazu in den Pausen vom Schießplatz die dumpf verhallenden Schläge. Einen Augenblick lang denkt Richard an Frieda und daß das Mädchen in nächster Zeit wieder häufiger allein in ihrem dunklen Zimmer liegen wird, wo sie die Ententeiche ihres Heimatdorfes aus den alten Tapeten riecht. Ein wenig vermißt Richard schon jetzt die nicht mehr ganz weißen, etwas rauhen Bettücher in Friedas Zimmer, in denen er bereits als Kind geschlafen hat. Doch einen Augenblick später sind auch diese Dinge neu eingeordnet: Erinnerungen für spätere Tage, Lebensabschnitte, die von erstaunlicher Unfähigkeit geprägt waren und glücklicherweise schon morgen nicht mehr zu ihm gehören werden.
Mit Indianergeheul kommt Otto um die Ecke gebogen, er strebt auf Ingrid und die Katze zu, tanzt bedrohlich um die beiden herum. Die Katze befreit sich aus Ingrids Händen und springt mit großen Sätzen davon. Ingrid schiebt drohend die Lippen nach vorn und zieht die Augenbrauen zusammen, wie Alma es oft macht. Otto setzt das Heulen und Tanzen fort.
– Otto, hör auf, es reicht, schnauzt Richard.
Er winkt den Buben zu sich her und gibt ihm eine Ohrfeige. Er ist überzeugt, daß es nicht schaden kann, wenn auch Otto sich ein wenig diszipliniert.
– Auf der Mauer hast du nichts verloren, und verräum dein Tretauto dort, wo es hingehört.
Ein paar Bienen fliegen saumselig.
Sonnentupfen wandern.
Schwere Blumen schaukeln.
Der Geruch von Teppichreinigungsmittel erfüllt die Luft.
Der Schutzengel verharrt ohne die geringste Bewegung.
Der Wind bläst langsam die Farbe aus den Dingen heraus.
Auf der Mauer, auf der Mauer sitzt a dicke.
Wie lange wird das irgendwann her sein?
Richard geht davon aus, daß er sich erinnern wird.
Sonntag, 29. April 2001
Bei Johannas nächstem Besuch ist immerhin das Badezimmer so weit entrümpelt, daß sie trotz der zahlreichen gebrochenen Fliesen und der darauf niederregnenden Dispersionsflocken zu Philipp in die Wanne steigt. Sie sagt, vom ständigen Sitzen auf der Vortreppe habe er schon Sommersprossen wie normalerweise erst im Hochsommer. Sie schaut ihn an, er mag es, wenn sie ihn so anschaut, und das, obwohl ihm nicht recht aufgeht, ob hinter ihrer Feststellung eine leise Kritik verborgen ist. Oder will Johanna das Gespräch vom letzten Mal wiederaufnehmen? In puncto familiärer Unambitioniertheit? Nein. Bestimmt nicht? Um so besser. Nichts Neues an der Familienfront. Johanna läßt heißes Wasser nachrinnen. Es fließt über die gelblichen Kalkschlieren unterhalb des Hahns, bis Philipp die Röte ins Gesicht steigt. Nach der Fensterscheibe beschlagen jetzt auch die hellblauen Fliesen an der Wand. Johanna streckt sich aus, so gut es geht. Dann fragt sie:
– Du, Philipp, kann ich für ein paar Tage bleiben?
Eingedenk des vortägigen Telefonats (und so vieler Telefonate) ist Philipp nicht sonderlich erstaunt. Johannas Ruf: Ich will dich nicht verlieren, ich trenne mich von meinem Mann! Darauf die kurze Hoffnung, daß sie es wirklich und wahrhaftig tun wird, und unmittelbar danach das Gelächter der Wiederholung (als trete der Narr im Reigen der Turmuhr in die offene Luke), weil der Vorsatz auch diesmal vorübergehen wird wie eine Grippe, wie eine Halluzination.
– Was verschafft mir diesmal die Ehre? fragt er.
Das Übliche halt.
Daß Johanna sich mit Franz gestritten hat und daß Julia (das Kind, mit dem Franz und Johanna ihre Beziehung verewigt haben) das verlängerte Wochenende bei den Eltern von Franz in Neckenmarkt verbringt. Da fühlt sich
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