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Es geht uns gut: Roman

Es geht uns gut: Roman

Titel: Es geht uns gut: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
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gebleicht ist, im Kassabuch bleibt der Verlust derselbe. All diese Argumente wurden mehrfach vorgebracht, die strittigen Fragen jedoch durch einen Sachverständigen der Wach- und Schließgesellschaft, also der interessierten Partei, zuungunsten Almas beurteilt. Unabhängiges Gutachten wurde keines eingeholt, weil zu teuer, wie man weismachen wollte, und so ist während bald eines halben Jahres nur Zeit vergangen.
    Aber wenigstens weiß Richard, daß die Erklärungen, die er anzubieten hat, vor Crobaths politischen Argumenten nichts gelten, ob er auch hundertmal recht hat: Die reine Unvernunft, auf die es nicht ankommt.
    Richards Adamsapfel bewegt sich leer. Er sagt:
    – Wohin soll man mit dem entstandenen Schaden?
    – Darf ich? fragt Crobath nickend. Er zieht mit langem Arm den Messingaschenbecher zu sich hinüber und zündet sich eine Zigarette an.
    – Denken Sie an die eigenen Vorteile, an die wegfallende Konkurrenz bei sprunghaft steigender Nachfrage durch das deutliche Mehr an Männern in der Stadt und durch das Geld, das in Umlauf gebracht wird. Sie würden staunen, wenn Sie wüßten, wie vieles möglich geworden ist, von dem man sich noch vor wenigen Wochen nichts hätte träumen lassen. Wie schnell an der Zukunft gearbeitet wird.
    – Von der Zukunft wird ja jetzt nur noch voller Begeisterung geredet.
    – Zu Recht, wie ich Ihnen sagen kann.
    Die beiden Männer fixieren einander. Nach zwei langen Sekunden drückt Richard das Kinn in den Kragen, beklommen horcht er Crobaths Worten hinterher, und dann, er weiß auch nicht warum, muß er daran denken, daß er mit der Gründung einer Familie die Zeit einleiten wollte, in der es kaum mehr Veränderungen geben würde. Eine schnelle Rückschau: Die Bestandsaufnahme fällt nüchtern aus. Unruhe und Umstürze schon sein ganzes unberechenbares Leben lang, alle fünf Jahre eine neue Staats- und Regierungsform, neues Geld, neue Straßennamen, neue Grußformeln. Fortwährendes Chaos. Ruhigere Perioden hat es nach seiner Kindheit eher nie als selten gegeben, und er könnte nicht bestimmen, bis wohin er die Zeit, wenn er dürfte, zurückdrehen würde, so verworren ist alles.
    Er hört Crobath sagen:
    – Vergessen Sie die Wäsche.
    Vergessen Sie die Wäsche, ganz schmerzlos, wie manchmal Wasser vergißt zu gefrieren. Ob auch die Zeit vergessen kann zu vergehen?
    Einen Moment lang sieht Richard das Gerüst der Welt wie bei einem mageren Menschen die Knochen. Er spürt, wie sinnlos, wie unmöglich alles ist und daß er irgendwann sterben wird. Ein Gedanke wie ein Spreißel im Kopf.
    Am meisten deprimiert ihn, daß er nicht als Österreicher sterben wird.
    – Wenn ich Sie richtig verstehe, soll ich angesichts der Zukunft, an der Sie und Ihre Parteikollegen arbeiten, meine eigenen Interessen in die zweite Reihe rücken.
    – Sie könnten sich auch dazu entschließen, Ihre Ansichten zu korrigieren. Sie sind ein talentierter Mann. Mit Hinblick auf Ihre Begabung hätten Sie guten Grund dazu.
    – Gute Gründe sind momentan leicht zu finden für nahezu alles, sagt Richard.
    Crobath räuspert sich, rückt den Stuhl näher zum Tisch heran und bedient sich an den Brombeeren.
    – Man wird so schnell kein Haus finden, das mit allen vier Seiten nach Süden liegt.
    Das Gras wächst, die Fensterläden bleichen aus, die Dachziegel an der Wetterseite setzen Schorf an.
    – Doch sollte Ihre Gattin das Bedürfnis verspüren, mit ihrem Geschäft zumindest in ein Ecklokal umzusiedeln, ließe sich das ohne großen Aufwand bewerkstelligen. Selbst der äußere Anschein bei Arisierungen kümmert niemanden mehr.
    Richard sucht in der verlangten Schnelligkeit nach einer Entgegnung, die ihn zu nichts verpflichtet und dennoch ein bißchen interessiert klingt. Er sagt:
    – Das würde bedeuten, ein Schaufenster mehr –.
    Er kratzt etwas Hartes von der Tischplatte, führt es mechanisch zum Mund. Zu spät besinnt er sich darauf, daß es Fliegendreck sein könnte. Er beißt auf die Zähne, greift ruckhaft nach der Kaffeetasse und spült mit einem kräftigen Schluck. Er kann sich nicht helfen, seine Sorgen wachsen ihm allmählich über den Kopf.
    Von drinnen die gemessenen Töne aus Almas Querflöte, die sich einzeln und in dichten Gruppen in dem gelbgrünen Licht ausbreiten. Dazu das Klicken der Schaukelketten und das Knarzen des Birnbaums unter der Last Ottos, der sich durch die Luft schwingt.
    Während Crobath wieder von der Zukunft zu reden beginnt und mit hochgeworfenem Kinn davon

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