Es geht uns gut: Roman
Häusern zittert, was an Fensterscheiben noch vorhanden ist. Unsichtbar, aber ganz in der Nähe, in einer der Seitengassen, fordert aus einem Lautsprecherwagen eine blecherne Stimme mit wienerischem Akzent zum Niederlegen der Waffen auf.
– Wir kommen als Befreier, ruft die Stimme.
Der Fähnleinführer bekommt einen dicken Hals und sagt:
– Da lachen die Hühner.
Während die Stimme aus dem Lautsprecherwagen der Behauptung mit Hinweis auf die Moskauer Deklaration Glaubwürdigkeit verleihen will, legt der Fähnleinführer eine Panzerfaust auf Peters Schulter, und indem er Peter näher zum Tor schiebt, fügt er den weiter aus der Seitengasse tönenden Parolen hinzu:
– Und dann werden alle deutschen Männer sterilisiert.
Diese Ansicht leuchtet Peter sogar bei oberflächlicher Betrachtung ein, immerhin sind umgekehrt die Russen in der neuen Weltordnung als Latrinenputzer vorgesehen. Da darf man kein Entgegenkommen erwarten.
Aus der Panzerkanone bricht ein zweiter Schuß, wieder auf die Ruine. Peter fällt es schwer zu beurteilen, ob er den Kanonendonner mehr mit den Ohren als mit den Füßen wahrnimmt, so durchzuckt es ihn. Er geht hinter dem Eckstein in die Knie und verbreitert, indem er den Hals nach links beugt, die rechte Schulter, auf der das Blechrohr liegt. Der Fähnleinführer löst den Sicherungsdraht und klappt das Visier hoch, wie es Tage zuvor in der Zeitung schematisiert war zwecks Vertiefung der Blitzausbildung des Volkssturms.
– Die werden ihr blaues Wunder erleben, sagt der Fähnleinführer: Spätestens im Bereich der Ringstraße werden sie in die Falle tappen und alle Selbstmord begehen.
Er peilt den bis auf vierzig Meter herangekommenen Panzer an und zündet die Treibladung. Die Granate, von einem drei Meter langen Feuerstrahl aus dem Rohr geschleudert, schießt auf ihr Ziel zu. Als Peter nach der Detonation die Augen öffnet, sieht er, daß die rechte Raupe des Panzers zerrissen ist. Die Notklappe des Panzers wird von innen geöffnet und ein selbst in dieser Situation pelzbemützter Bolschewist springt mit feuernder Maschinenpistole hervor. Ehe der Mann auf das Haustor zuhalten kann, wird er von einem aus Richtung der Ruine abgegebenen Schuß in den Kopf getroffen. Er fällt ohne einen Laut zu Boden (oder man hört den Laut nicht).
Jetzt dreht sich der T34 quer zur Straße und wühlt sich mühsam, eine ächzend verendende Stahlkröte, über das holprige Kopfsteinpflaster zu einem Haustor auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Das Haustor ist mit LSR , Luftschutzraum, beschriftet. ( Lernt schnell Russisch , haben sie zum Ärger des Fähnleinführers beim Übernachten im Bellaria-Kino gescherzt.) Die stählerne Schnauze drückt das Haustor ein, die noch intakte Raupe schremmt auch den Türstock weg und frißt sich, da der Hausgang für den Panzer geringfügig zu schmal ist, über den Eckstein in einer leichten Diagonale knapp zwei Meter tief ins Innere des Hauses. Dann stirbt der Motor ab. Drei- oder viermal kracht der Anlasser, schwarzer Dieselqualm spuckt bis in die Mitte der Straße und verzieht sich nur langsam. Treibstoff fließt unter dem Heck hervor. Der Fähnleinführer wirft eine Handgranate, es kracht und staubt, dann brennt das Heck des Panzers. Schwarzer Rauch, der von den Spitzen der Flammen quillt, verschließt das Haustor wie mit einem dicken Vorhang. Man hört dahinter hektische Stimmen, als sich die restliche Panzerbesatzung in Sicherheit bringt. Zwei oder drei Minuten vergehen, dann entzündet sich die Munition im Inneren des Panzers, das Ungetüm wackelt von den Detonationen, ehe es von einer letzten gewaltigen Explosion zum Bersten gebracht wird. Peter spürt den Luftdruck und das Zittern des Untergrunds. Mauerrisse züngeln in Sekundenschnelle, wie mit rasendem Bleistift gezeichnet, über die Fassade, von unten nach oben und von oben nach unten. Fensterscheiben platzen, Glas splittert auf die Straße. Ein großer Pappendeckel, mit dem eine Fensteröffnung vernagelt war, schaukelt in die Tiefe, ändert dabei drei-, viermal die Richtung. Sehr beeindruckend sieht das aus. Peter ist im höchsten Grad verblüfft, daß das Haus der Erschütterung standgehalten hat.
– Das hat sich gelohnt, sagt er.
– Halt bloß das Maul, faucht der Fähnleinführer.
Peter und der andere Bub müssen trotzdem lachen. Jetzt grinst auch der Fähnleinführer für einen kurzen Moment. Plötzlich schüttelt es ihn vor Nervosität, und er reißt sich zusammen.
Während der T34
Weitere Kostenlose Bücher