Es geht uns gut: Roman
nur das ratschende Wirkungsfeuer der feindlichen Artillerie, das für Peter einen Moment lang eins ist mit dem Knistern der Ziegel in den Mörtelfugen. Hoch oben das Rumoren eines Flugzeuges in dem von dünnem Gewölk überzogenen Himmel, auch dieses Geräusch bis zur Irrealität gedämpft (während von dem Panzer nicht einmal mehr das Stöhnen des Motors zu vernehmen ist). Peter rappelt sich hoch, er preßt seinen blutenden rechten Arm mit der Linken an den Oberkörper, Dreck knirscht zwischen seinen Zähnen. Nochmals hustend und ausspuckend, tritt er aus der Ruine in den langsam niedersinkenden, teils noch immer nach oben wölkenden oder gesogenen Staub. Peter sieht den Fähnleinführer bäuchlings auf der Straße liegen, zu Boden gedrückt, ihm fehlt der halbe Kopf, das Gehirn ist größtenteils ausgetreten und von einem rötlichen Firnis aus Ziegelsand und einigen Mauerbrocken seltsam zugedeckt. Von dem zweiten Buben, der mit Peter im Hausgang war, ist weit und breit nichts zu sehen. Der Vierzehnjährige indes lehnt starr an dem zerschossenen Mauerstück, unmittelbar neben der Fensteröffnung, durch die sich Peter in Sicherheit gebracht hat.
Peter ist überrascht, wie der Bub dasteht: Das Bauchfell scheint aufgerissen, zwischen den Fetzen der blutigen Uniform kann man die ebenfalls blutigen Eingeweide sehen, die der Bub mit den Händen am weiteren Austreten hindert. Das rechte Auge, wenn von einem Auge noch die Rede sein kann, ist ohne Glanz, das untere Lid lappt weg, und der Knochen darunter liegt frei. Die rechte Gesichtshälfte ist blutüberströmt, vom Kinn tropfen große Batzen in schneller Folge auf den Ärmel des rechten Arms. Davon nimmt der Bub keine Notiz. Mit dem linken Auge blickt er Peter an, ein Ausdruck in dem weiterhin kindlichen Gesicht, der Peter von seiner Mutter vertraut ist. Nicht so sehr, als ob der Bub Schmerzen hätte, vielmehr in ungläubiger, schreckerfüllter Verstörung, weil er nicht weiß, ob jetzt das Ende kommt. Nach einiger Zeit unternimmt der Bub den Versuch, auf Peter zuzugehen. Er stößt sich mit den Schultern ab, aber der Oberkörper kann sich ohne die Mauer im Rücken nicht halten und schwankt in die vorherige Position zurück. Peter steht wie angewurzelt da. Aber beim Hinschauen berührt es ihn, wie konzentriert der Bub mit einem Mal zu sein scheint. Es erschreckt Peter nicht, es berührt ihn nur. Eigenartig. Schwach die Lippen bewegend, wie fluchend, macht der Bub einen weiteren Versuch zu gehen, als wolle er das bißchen Leben, das er noch vor sich hat, dafür verwenden, einen oder zwei Schritte zu machen. Aber die Kraft reicht nicht. Weiterhin das linke Auge auf Peter gerichtet, sinkt der Bub plötzlich weg in einer unglaublich weichen Bewegung, wie ein fallendes Stoffband. Die Knie berühren den Boden, rutschen nach hinten, das Gesicht schlägt widerstandslos auf das Straßenpflaster, die Schulterblätter brechen seltsam ein. Der Bub zuckt einmal, als wolle er sich, wie zum Salut, stocksteif machen, dann liegt er ganz ruhig, und es sieht so aus, als habe der Krieg für ihn aufgehört (aber der Frieden nicht unbedingt begonnen, gar nichts hat begonnen).
Krieg, ein paar Zahlen, Statistiken, Markennamen, Vorkommnisse (Effekte) und da und dort ein Ereignis, das nicht jeden betrifft.
Obwohl sein verletzter Arm in einer Schlinge liegt, stützt Peter ihn mit der rechten Hand. Seine gelegentlichen Blicke zurück auf die Stadt, von der man nicht viel wiederfinden wird, wenn der Krieg noch eine Weile mit der momentanen Wut voranschreitet, sind ebenso gehetzt wie die Blicke auf die nässende, im Licht schimmernde Stelle an seinem Verband, durch die das Blut sickert. Er fiebert ein wenig, entweder von der Verletzung oder von einer der Injektionen, die man ihm am Verbandsplatz in den gesunden Arm und in die Brust gesetzt hat. Das hat saumäßig weh getan. Aber Schmerzen interessieren niemanden, nicht jetzt. Solange er gehfähig sei, solle er gehen, hat der Sanitäter gesagt, und deshalb geht Peter, schweißgebadet, keuchend, mit schlurfenden, langgezogenen Schritten durch die Kahlenberger Weingärten, nachdem ein Laster der Feldsanitätsabteilung ihn und den Hitlerjungen, der im Keller der Ruine versteckt war, bis nach Nußdorf mitgenommen hat. Peters Beine fühlen sich schwer an. Im Vorwärtsstolpern ist ihm, als klebe der Kriegsdreck der halben Stadt an seinen Schuhen. Doch dem Bedürfnis, sich hinzusetzen und auszuruhen, gibt er nicht nach, angetrieben von dem, was der
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