Es geht uns gut: Roman
ausbrennt, wünscht sich Peter, daß ihn sein Vater sehen könnte, dem würde er so gerne gefallen. In letzter Zeit gab der Vater nie ein Lob und teilte nur aus, obwohl diese Mißbilligung das ist, was Peter am meisten verletzt. Seit es mit der Mutter bergab geht (oder seit die Siegesmeldungen ausbleiben, das ist schwer zu beurteilen), hat sich das Verhältnis zwischen ihm und seinem Vater rapide verschlechtert. Manchmal kommt es Peter vor, als seien er und sein Vater in der gemeinsamen Unfähigkeit, mit dem Krebs der Mutter umzugehen, zu Gegnern geworden, wo sie sich doch besser zusammengetan hätten, unter Männern, wie seine Schwestern sich mit der Mutter zusammengetan haben, unter Frauen. An allem hat der Vater etwas auszusetzen, und immer ist es Peter, der hart angepackt und verhauen wird, während seine Schwestern mit einem bösen Wort davonkommen. Dazu ein Vollalarm nach dem anderen, kein Gas, kein Licht, die jüngste Schwester oft am Weinen und wieder am Bettnässen, die Sorge um das Heizmaterial, um Kalorien, um Schmerzmedikamente, weil alles Morphium an der Front ist. Wenn jetzt noch der Krieg verlorengeht, wird der Vater nicht mehr auszuhalten sein. Peter fragt sich, wie das bloß enden soll.
Ein zweiter Panzer, amerikanischer Bauart, der den Block umfahren hat, rückt von der Querstraße auf die Ruine zu. Wieder bricht Schuß um Schuß aus der Kanone, flankiert von einem MG-Schützen, der in der linken offenen Frontluke steht und seine Schußgarben in den Halbkreis streut. Dreckfontänen, kleine Staub- und Dampfwölkchen spritzen und kräuseln aus der Ruine und den feuchten Fassaden der Nachbarhäuser. Der Panzer hat die Ruine beinahe erreicht, da läuft der Vierzehnjährige, der Freiwillige (woher eigentlich?) von hinten an den Panzer heran, springt inmitten einer Wolke aus Dieselqualm und der aufgewirbelten Kriegsschlacke der letzten Wochen auf das Heck des Panzers und drückt sich am Turm entlang nach vorne. Der MG-Schütze, von einem Geräusch gewarnt oder mit einem sechsten Sinn begabt, duckt sich geistesgegenwärtig, und ehe der Bub es fertigbringt, seine Handgranate abzuziehen, ist die Luke geschlossen und von innen verriegelt.
Die Besatzung des Panzers hat nun auch die anderen Hitlerjungen wahrgenommen, die dicht an den Hausmauern, hinter dem Fähnleinführer, die Straße hochgerannt kommen, weil man, so der Fähnleinführer, einen Kameraden nicht im Stich läßt. Der Panzer dreht sich, um die Gruppe ins Visier nehmen zu können. Unterdessen gleitet der Vierzehnjährige vom Panzer herab, läuft links neben den im Schrittempo vorwärts mahlenden Antriebsrädern bis unter die Mündung des Turmgeschützes, reckt die Rechte neben dem Stirn-MG zur Mündung der Kanone hoch und wirft die jetzt abgezogene Handgranate in das Rohr des Geschützes, das kurz darauf mit einem satten Knall platzt. Zwar beginnt zwei Sekunden später das Stirn-MG zu feuern, doch sind die heraneilenden Buben außerhalb von dessen Radius. Mit Ausnahme Peters. Der erhält einen Schlag, ihm ist, als würde er ebenerdig stolpern. Seine Panzerfaust rutscht ihm aus der Hand und rumpelt zu Boden. Er strauchelt, fängt sich, er stürzt vorwärts. Dann hat auch er den Panzer links umlaufen und hechtet, ohne darüber nachzudenken, was geschehen ist, durch ein klaffendes Parterrefenster in die Ruine, in der noch zwei der zurückgebliebenen Kameraden versteckt sein müssen.
– Deckung! ruft der Fähnleinführer, der – wie zuvor der Vierzehnjährige – den Panzer erklettert und eine Haftmine auf die Einstiegsklappe des Turms gelegt hat. Der Fähnleinführer zündet die Mine. Wie als Antwort auf ein Klopfen wird die Einstiegsklappe geöffnet, eine Handgranate kullert auf die Straße, ohne jeglichen Schwung, wie herausgetropft, wie herausgespuckt. Gleichzeitig rutscht die Mine, deren Magnet offenbar nichts taugt, von der Einstiegsklappe auf den Kotflügel des Panzers und von dort auf die Straße. Der Panzer macht einen Satz nach vorn. Einen Augenblick später detonieren die Mine und die Handgranate in einem einzigen betäubenden Knall, der zwischen den Häusern widerhallt. Der Motor des Panzers heult auf, das Gefährt wendet sich nach rechts und rattert die Straße hinunter in den schwarzen Qualm des abgeschossenen T34 hinein.
Von dem durch die Explosionen aufgeworfenen Staub rinnen Peter die Augen. Nicht einmal Luftholen kann er ordentlich. Er hustet mehrmals, seine Ohren summen, er lauscht, aber er hört keine Schreie, kein Jammern,
Weitere Kostenlose Bücher