Es geht uns gut: Roman
Sanitäter sonst noch gesagt hat: Daß jeder, der Anspruch auf ein Lazarettbett erhebe, sich genausogut freiwillig in die Gefangenschaft melden könne. Länger als zwei Tage würden die Verteidigungsstellungen dem Druck der Bolschewisten nicht standhalten. Dann sei Feierabend und gute Nacht (schöne Heimat). Mitunter, wenn er nicht mehr weiterwill, schließt Peter im Gehen die Augen, er konzentriert sich ausschließlich aufs Weiterkommen. Dann erscheinen ihm seine mechanischen Schritte wie Klammern, die seine Gedanken zusammenhalten: Daß man mit dem Krieg hätte aufhören sollen, als die Dinge noch besser standen. Daß die Stadt keineswegs deshalb rücksichtsvoll und gebäudeschonend erobert werde, weil Österreich das erste Opfer der Hitlerschen Aggression war, sondern damit man die Bevölkerung von Stalingrad in Wien ansiedeln kann (das hat er ebenfalls am Verbandsplatz aufgeschnappt). Und die Sterilisation aller Männer, von der der Fähnleinführer geredet hat, nachdem sie von der Lautsprecherstimme zum Niederlegen der Waffen aufgefordert worden waren. Und –. Und –. Etwas Unwirkliches hat das alles. Auch die Landschaft, durch die Peter stolpert, scheint einen Angsttraum abbilden zu wollen, die krüppeligen, wie in Agonie verkrampften Weinstöcke, der säuerlich brandige Rauch überall, der von der steten Brise über der Donau den Hügel heraufgedrückt wird. Selbst hier in den Weingärten, wo kaum Schäden zu beklagen sind, ist alles von einem grauen Firnis überzogen und voller Dreck und Material. Herumfliegendes Papier, zertrümmerte Materialkisten und weggeworfene Ausrüstungsteile. Eine Panzerabwehrkanone mit zerfetztem Lauf ist zwischen die Reben gefahren, unmittelbar davor liegen drei Hilfsfreiwillige mit asiatischem Aussehen, die sich bewußtlos getrunken haben. Peter und sein Begleiter, der die Ratsche bei sich trägt, gehen rasch vorbei. Eine Minute später sehen sie vor sich, oberhalb zur Linken, einen mit halboffenen Knospen vor dem Blühen stehenden Kirschbaum, dick und wuchtig, an dem ein Soldat hängt. Ein Schild vor der Brust des Soldaten weist ihn als Feigling und Deserteur aus, die Rebschnur hat sich bereits tief in den gedehnten Hals eingeschnitten. Sie erreichen den Baum überraschend schnell, Baum und Erhängter wachsen plötzlich heran. Wie aufgebläht. Obwohl der Anblick die Buben nicht so erschüttert, wie dies noch vor einigen Jahren der Fall gewesen wäre (als ihre größte Sorge war, wenn sie Mathe nicht verstanden), überfällt die beiden ein Grausen beim bloßen dran Vorbeischauen. So eine flaue Übelkeit. Oder sind es die Spritzen, die man ihm verabreicht hat? Au, hat das weh getan. Der Bub an Peters Seite beschleunigt nochmals den Schritt. Peter läßt es geschehen, obwohl er Mühe hat mitzuhalten. Ihm kommt vor, als würde der Baum mit dem Erhängten viel größer aussehen, als er normalerweise aussehen dürfte. Er wundert sich, daß man sich solche Gedanken machen kann.
Die Buben passieren die Stelle, die Blicke gezwungen geradeaus. Schon vorbei.
– Wär ich bloß nicht mitgegangen, sagt weinerlich der Bub: Wenn wir an einen Posten der Feldgendarmerie kommen, und sie fragen mich nach meinen Papieren, werde ich auch aufgehängt.
Peter hält mit gepreßter Stimme dagegen:
– Ich wüßte nicht warum.
– Als Deserteur. Ich habe keinen Marschbefehl.
– Du marschierst auch nicht.
– Aber ich habe die Fahnen Adolf Hitlers verlassen.
Bei der Vereidigung hat Peter keine Fahnen gesehen, der äußere Rahmen war mehr als nur dürftig, keine Triumphbögen, keine Böllerschüsse, ebenso fehlten tiefsinnige Ansprachen, die Musik und der anschließende Schweinsbraten, den der Nachbarssohn vor zwei Jahren noch bekommen hat. Dann, auf dem Weg zum Barrikadenbau, ist ihm vor vier Tagen wegen seiner HJ-Armbinde in der Straßenbahn ein Wehrmachtsfahrschein verweigert worden. Er kennt noch nicht einmal seine genaue Zugehörigkeit.
Er sagt:
– Vergiß es, wenn du mich fragst, war unsere Vereidigung nicht regulär.
– Versuch das jemandem beizubringen, dann wirst auch du gehängt.
Peter läßt es sich durch den Kopf gehen:
– Am besten, wir berufen uns auf Befehle. Daß der Fähnleinführer uns aufgetragen hat, wir sollen uns zur Donau zurückziehen, wenn er fällt.
– Wieder ein Grund zum Hängen. Wenn sie draufkommen, daß du lügst, enden wir beide am Galgen.
Der Bub wendet jäh den Kopf und wirft ängstliche Blicke um sich. Obwohl über das normal Verdächtige
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