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Es geht uns gut: Roman

Es geht uns gut: Roman

Titel: Es geht uns gut: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
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einander die Bilder in Peters Erinnerung.
    Flüchtig, dunstig-verschwommen wie am Waschtag: die ebenerdige Wohnküche in der Blechturmgasse. Das war Mitte der dreißiger Jahre, noch vor Peters Einschulung, als sie jeweils zu zweit und für kurze Zeit auch zu dritt in einem Bett schliefen.
    Die erste Verhaftung des Vaters, 1936, wegen der Sprengung eines Telefonhütterls, die man dem Vater aber nicht nachweisen konnte.
    Bald darauf die zweite Verhaftung, 1937, wegen eines Hakenkreuzwimpels.
    (Peter entsinnt sich genau, oder er entsinnt sich, was der Vater später hundertmal erzählte: daß der Ständestaat den Vater in einem Verwaltungsstrafverfahren mit drei Wochen Arrest belegte, obwohl nach den damaligen Vorschriften der Besitz eines Hakenkreuzwimpels oder eines ähnlichen Abzeichens nicht verboten war, nur das öffentliche Zeigen . Diese Öffentlichkeit wurde durch die Aussage eines Nachbarn hergestellt, eines Sozialisten, der behauptete (schwor), daß man bei besonders heller Beleuchtung, wenn der gewöhnlich vorhandene Vorhang nicht, und zwar ganz ausnahmsweise nicht zugezogen war, den an der Wand über dem Radio hängenden Wimpel sehen könne; und auch dies nur, wenn man in einem bestimmten Winkel die Straße herunterkam).
    Dann: Wie Peter sich als Achtjähriger durch eine dichte Menge jubelnder Menschen hindurchtunnelte und plötzlich den Führer sah, der aus seiner Limousine heraus die Wiener Bevölkerung grüßte.
    Die glückliche Zeit nach dem Anschluß, als der Vater plötzlich wieder in Arbeit und Brot stand und die Anspannung von ihm abfiel und es plötzlich eine größere Wohnung gab im gleichen Haus weiter oben, mit dem Klo nicht mehr am Gang, und manchmal sogar Blumen für den Küchentisch und für die Kinder die besten Aussichten .
    Wie er vor sieben Jahren, fast auf den Tag genau, so gelegen ist, im Augarten neben seinem Vater, sonntags, an dessen rechter Seite. Und wie der Vater ihn ins Vertrauen zog, daß selbstverständlich er und seine Kollegen es gewesen seien, die das Telefonhütterl gesprengt und die Hakenkreuze hinterlassen hatten, und wie glücklich er über die Ankunft der Genossen aus dem Altreich sei und daß der Tisch in Zukunft reicher gedeckt sein werde.
    Die lautstarke Verhaftung des Nachbarn, der im Jahr davor die Verurteilung des Vaters ermöglicht hatte, und die weinende Frau des Nachbarn, die an die Wohnungstür kam und den Vater um Fürsprache bat (dem Nachbar wurde vorgeworfen, er habe einem Nazi im Nebenhaus die Kaninchenställe gesprengt, was aber sicher nicht stimmte).
    Das Einbinden der Schulbücher mit der Mutter.
    Eine Polsterschlacht mit Ilse, der jüngeren Schwester, die bis vor zwei Jahren das Zimmer mit ihm geteilt hat.
    Die Betten, die aus den Fenstern der jüdischen Wohnungen vis-à-vis geworfen wurden.
    Das Besprechen des Frontverlaufs mit dem Vater und der Stolz darüber, daß der Lebensraum im Osten für die nächsten tausend Jahre gesichert sei.
    Wie Ilse sich die Finger verbrannte, als sie einen sengenden Bombensplitter aus dem Küchenkasten ziehen wollte.
    Ein paar ungerechte Watschen.
    Der Heimabend, den sie im Vorjahr mit anderen Wiener Gruppen verbrachten. Da hieß es heilig: Präsentiert die Flaggen! Worauf der Fähnleinführer in seinem Übereifer die Spitze der Flaggenstange so fest in einen Holzbalken der Decke rammte, daß er die Flagge nur mit Not wieder freibekam.
    (Das sah so lustig aus, daß Peter lachen mußte. Er war nicht der einzige, der lachte, aber er lachte offenbar am lautesten, und der Fähnleinführer erkannte ihn an der Stimme. Am nächsten Tag wurde Peter drei Stunden lang geschliffen. Exerzieren, stillgestanden, kehrt, marsch, marsch, linksum, rechtsum, Gewehrpacken, stillgestanden, habt acht, Präsentiergriff, Augen geradeaus, zackzack, marsch, links, zwo, drei, vier, links, zwo, drei, vier, dann den Hang hinauf und wieder hinunter, da blieb Peter bereits die Luft weg, und gleich noch mal, zackzack, weil der Fähnleinführer schwören wollte, einen bolschewistischen Spion ausgemacht zu haben, ich will tot umfallen, Haaaltuuungg!!! wenn da oben nicht –. Peter keuchend: Melde gehorsamst, keinen bolschewistischen Spion angetroffen! Fähnleinführer süffisant: Ich will Meier heißen, wenn da nicht, marsch, marsch –. Und zwischendurch immer wieder lautes Singen … Die roten Fahnen brennen im Wind … unsre Fahne ist mehr als der Tod , bis Peter sich übergeben mußte.)
    Der Schokoladenpudding mit Kanarienmilch zu seinem vierzehnten

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