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Es geht uns gut: Roman

Es geht uns gut: Roman

Titel: Es geht uns gut: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
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ebenfalls zum Zaun gekommen ist.
    – Ja, schon, sagt Peter.
    – Bekommst du eine Auszeichnung? fragt Trude.
    Doch diesmal läßt Onkel Johann seinen Neffen nicht zum Antworten kommen. Er gibt Trude einen Stoß mit der Hand:
    – Geh nach drinnen zur Mutti und sag ihr, sie soll für die beiden eine Wegzehrung einpacken. Aber hurtig, marsch!
    Trude zögert einen Moment. Der Hitlerjunge in Peters Begleitung stemmt die Ratsche gegen das rechte Knie und dreht einmal die Kurbel, da ist Trude schon weg.
    Onkel Johann fixiert den Buben, verärgert über den Lärm.
    Peter sagt:
    – Ich hab gehofft, wir können bleiben.
    Der Onkel geht zurück zu den Unterlagen, die nicht recht brennen wollen. Er hebt einen Teil des halbverkohlten Papiers an, lockert den Packen und legt ihn sacht auf die Seite, damit Luft hineinfahren kann. Einige hauchdünn ausgeglühte Bruchstücke steigen wie Drachen hoch, gleiten schwebend, unwägbar, am Rand eines Luftwirbels zur Seite und sinken als saurer Dünger, den der nächste Regen ins Erdreich spülen wird, zu Boden.
    Onkel Johann wendet sich wieder zum Zaun:
    – Als Neffe wärst du willkommen, aber nicht als Soldat. Wo doch die Russen. Du mußt verstehen. Die Familie. Da ist es besser, wir sind ab jetzt neutral.
    Peter fühlt sich, als wäre er gerade aufgewacht und sofort windelweich geprügelt worden. Er möchte seine Mutter erwähnen, den Fähnleinführer, er möchte nach seinem Karabiner greifen und abermals bitten. Aber Idiot, der er ist, hat er den Karabiner am Verbandsplatz liegenlassen inmitten all des dortigen Schmerzgeschreis und Kommandogebrülls.
    – Onkel Johann, wenn du willst, können wir die Uniformen und das ganze Zeug wegwerfen.
    Der Onkel fährt neuerlich mit dem Laubrechen in den Haufen, mit einem gewissen Ingrimm, der dem Feuer bekommt.
    – Mit deiner Verletzung würde ich dich notfalls auf die andere Straßenseite tragen. Peter, so leid es mir tut. Es ist wegen der Russen. Damit kein Eindruck entsteht. Wie gesagt, wir sind ab jetzt neutral.
    Neutral, denkt Peter, was soll das bloß heißen?
    Und im selben Moment begreift er (und das trägt zu seinem Gefühl der Erschöpfung wesentlich mit bei), daß alles kopfsteht, daß alles Gewohnte und Gehabte und was man ihm beigebracht hat von diesem Augenblick an nicht mehr zählt. Er fühlt den langsam erkaltenden Schweiß an seinem Körper, und während er den Aschegeruch des verglimmenden Papiers in der Nase hat, ist ihm, als würden ihn mit einmal alle seine Kräfte verlassen. Noch nie in seinem Leben hat Peter sich so hundsmiserabel gefühlt, er spürt jeden Knochen im Leib, sein Blut pumpt in groben Stößen, läutet ihm in den Ohren. Sein Oberarm schmerzt jetzt, daß es kaum auszuhalten ist. Er möchte sich hinsetzen, er möchte nicht weitergehen, so zum Umfallen müde ist er, so sehr drückt ihn das Gewicht so vieler Dinge: der nutzlosen Toten, der Trauer, daß ihn das Leben, das ihm sein Vater vorgemacht hat, zum Idioten stempelt, sein leerer Magen, der sich, seit Onkel Johann Trude um Essen geschickt hat, immer wieder zusammenkrampft, in rasch kürzer werdenden Abständen. Peter hat Angst, sich übergeben zu müssen.
    – Wer singt da unten? fragt er, ganz als rede er ins Leere hinein, mit starrem, abwesendem Blick. Wenn nicht der weiter sich verstärkende Beschuß alles und jedes übertönt, hört man ein weiteres Volkslied, das ins Rumoren des Krieges hineingegrölt wird: Hoch vom Dachstein an .
    – Da werden einem die Augen naß, sagt der andere Bub.
    – Die haben in den Kellern den Wein aus den Fässern abgelassen, gibt Onkel Johann Auskunft: Ein Sonderkommando der SS. Die trinken jetzt, was bereits in Flaschen abgefüllt war, damit auch die Flaschen nicht in die falschen Hände fallen. Ich denke, sie wollen die Auswirkungen demonstrieren, die der Wein auf die russische Seele haben könnte, sollte jemand das eine oder andere Faß verstecken.
    Er kommt nochmals vor zum Zaun:
    – Ich habe sagen hören, daß nackte Weiber auf den Tischen tanzen und daß sie stehend in die Gläser der Offiziere pischen. Aber ich will nichts behaupten, was ich nicht mit eigenen Augen gesehen habe.
    Er schüttelt den Kopf. Im selben Moment tritt Tante Susanne aus der Tür, einen kleinen Beutel in der rechten Hand. Sie ist in Schwarz gekleidet. Peter fällt ein, daß der Bruder von Tante Susanne Anfang März gefallen ist. Peter hatte es schon wieder vergessen.
    Indem die Tante den Beutel über den Zaun reicht, verschwindet

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