Es geht uns gut: Roman
Behauptung.
Auf die Frage, ob er ebenfalls Gummistiefel brauche, antwortet er:
– Gelbe, Größe 42.
– Also 41, verbessert ihn Steinwald, dies, wie alles, in einem sehr nüchternen, aber entschiedenen Ton, so daß Philipp beschließt, nicht zu widersprechen. Er besteht lediglich darauf, daß die Stiefel gelb sein müssen, wie er als Kind welche besessen hat. Gelb mit innen Rot.
Er händigt Steinwald, der anscheinend der Boß ist, alles Geld aus, das er bei sich hat, und noch mal etwa einen gleich hohen Betrag aus der Teekanne, in der die Großmutter trotz Vorhandenseins eines Safes ihren Notgroschen deponiert hatte. Steinwald und Atamanov verlassen das Haus. Philipp schaut ihnen noch eine ganze Weile vom Fenster aus zu, wie sie vom Vorplatz zum Dachboden hochstarren. Er weiß, das Geräusch, das die Krallen erzeugen, wenn die Tauben über das Fensterbrett tappen, ist von allen vorstellbaren Geräuschen das unangenehmste. Und das Geräusch des Flügelschlags, wenn die Tauben zur Landung ansetzen, das allerhäßlichste Geräusch, das Flügel erzeugen können. Auch Philipp hat noch nie häßlicheres Flügelschlagen gehört.
Es ist fast Mittag, als der rote Mercedes wieder in die Einfahrt biegt. Vor der Garage stellt sich der Wagen in eine Staubwolke. Die Arbeiter steigen aus, und Steinwald beklagt sich in offen vorwurfsvollem Ton, daß sie im ersten Baumarkt keine gelben Gummistiefel erhalten und so über eine Stunde verloren hätten, was die Stiefel für ihn (Philipp) unnötig teuer mache. Ohne sich zu dem Thema zu äußern, ist Philipp doch zufrieden mit diesem ersten Beweis von Zuverlässigkeit, und er hätte gern ein Foto von sich und seinen Gehilfen, weil sich das bestimmt gut macht: Von Steinwald und Atamanov in ihren dunkelgrauen Stiefeln flankiert, würde er anhand der gelben Stiefel leicht als hochstehende Persönlichkeit erkennbar sein. Er stünde einen Schritt tiefer im Bild als die Arbeiter, sehr breitbeinig, hätte die Fäuste in die Seiten gestemmt und das Becken vorgestreckt, er würde lächeln, aber fast unmerklich, und alles in allem sähe er aus wie Hans im Glück. Diese Vorstellung gefällt ihm um so besser, je länger er sich Steinwald und Atamanov ansieht. Der eine mit seinem niedrigen, zu kleinen Hut, der andere mit dem wächsernen Gesicht und einer Frisur wie Fernandel, in der das brünette Haar, obwohl der Mann noch keine dreißig ist, bereits ergraut. Während die Arbeiter wieder in der Küche sitzen und Philipp ein Mittagessen kocht, nimmt er sich vor, am Nachmittag Johanna anzurufen und seinen Fotoapparat zurückzufordern.
– Liebe Johanna, wird er sagen, den Apparat hast du vor anderthalb Jahren ausgeliehen, als der Apparat von Franz zur Reparatur war. Ich möchte wissen, wer sein Leben nicht in Ordnung hat. Du oder ich?
Es gibt Spaghetti. Philipp hat seinen Teller noch nicht geleert, da haben Steinwald und Atamanov schon die doppelte Menge verschlungen, im stillen erbost, daß Philipp sie zu der Mahlzeit überredet hat mit dem Argument, daß sie hinterher keinen Appetit mehr haben werden. Die Signale der Ungeduld, endlich mit der Arbeit beginnen zu können, nehmen zu. Trotzdem versucht Philipp, die beiden in ein Gespräch zu verwickeln. Steinwald, mit einer Falte zwischen den zottigen Brauen, antwortet auf alles kurz angebunden, und Atamanov, wie schon die ganze Zeit, sagt gar nichts. Atamanov ist still, ruhig, zurückgezogen, Philipp kennt kaum seine Stimme. Also redet er ihn zweimal direkt an, und als Atamanov begreift, daß er gemeint ist, drückt er ein verlegenes »Nix viel Deutsch« heraus. Philipp schaut Steinwald an. Der, genervt, berichtet, daß auch er Atamanov erst seit sechs Wochen kenne. Atamanov sei nur kurzfristig in Wien, weil er das Geld verdienen wolle, das er brauche, um Ende Juni zu heiraten. Steinwald knurrt, gleichzeitig kratzt er mit Daumen und Zeigefinger Speisereste zusammen. Die Falte steht ihm nach wie vor zwischen den Brauen. Philipp hingegen, ehrlich erfreut über die Auskunft, gratuliert Atamanov zu dessen Heiratsabsichten. Im nächsten Moment steht Steinwald auf und verschwindet in die Diele, wohin ihm Atamanov folgt. Man hört Nylon reißen, Knistern und Stampfen. Als Philipp ebenfalls in die Diele tritt, tragen Steinwald und Atamanov ihre dunkelgrauen Gummistiefel, und die Masken haben sie umgehängt.
– Keine Staubmasken, sondern Gasmasken, wie Steinwald grimmig erklärt.
Die Schutzbrillen tragen die Arbeiter auf der Stirn.
Bei flüchtiger
Weitere Kostenlose Bücher