Es geht uns gut: Roman
Ausfallschritt, Parade:
– Man kann das Beispiel genausogut auf den Kopf stellen. Die Zeit macht alles hinfällig, kaputt, überflüssig, nutzlos.
Steinwald zuckt die Achseln, er wirft die Kofferraumtür zu. Dann schleppt er den Cassettenrecorder, dessen Philipp sich vor einer Stunde mit werferischem Geschick entledigt hat, auf den Dachboden, damit sie dort von nun an Musik haben. Cassetten sind in Steinwalds Mercedes reichlich vorhanden. Philipp muß darauf hinweisen, daß er diesbezüglich eine schlechte Verdauung hat. Elton John nennt er zu Steinwalds Empörung einen heillosen Idioten, was aber nicht das schlimmste Schimpfwort ist, das Philipp gebraucht, da Steinwald auch eine Scorpions-Cassette besitzt. Philipp mag ausschließlich die Cassette, die Atamanov gehört. Sie ist mit ukrainischer Tanzmusik bespielt und, wenn Philipp es richtig verstanden hat, der Hauptgrund oder wenigstens einer der Gründe, weshalb Atamanov in Hinblick auf seine bevorstehende Vermählung in Geldnöten steckt. Atamanov scheint entschlossen, die teuerste Kapelle zu engagieren, die bei ihm daheim aufzutreiben ist, acht Mann, ein halbes Orchester.
Zur Musik dieser Kapelle tanzt Philipp in der Nacht zwei Stunden lang in Gummistiefeln über den Estrich des picobello gesäuberten, aber weiterhin stinkenden Dachbodens. Das Fenster ist wieder instand gesetzt, die Scheiben wie nicht vorhanden, der Mond voll. Und auch das Maß ist voll. Mit einer Flasche krisenmildernden Kirschrums in der Hand, den seine Großmutter vermutlich zum Kuchen- und Keksebacken verwendet hat, dreht sich Philipp mit ausgestreckten Armen im Kreis und versucht zu vergessen, daß Johanna ihm seinen Fotoapparat noch immer nicht gebracht hat. Seit dem 1. Mai hat sie sich nicht mehr sehen lassen. Er tanzt wie ein Verrückter, er zertritt mehrere Würfel mit Rattentod, und in den Pausen zwischen den Musikstücken riecht er den Moder und den Schimmel, die aus dem Mauerwerk strömen, und hinter der Dachverkleidung hört er die Mäuse rennen.
Samstag, 29. September 1962
Der Regen hat inzwischen aufgehört. Noch laufen Rinnsale durch die Furchen, die sich das Wasser im Schotter der Auffahrt gebahnt hat. Aber im Westen, woher die Wolken gekommen sind, klart es bereits wieder auf. Zaghaft sickert Licht durch vereinzelte Wolkenlöcher. Gleich werden dort oben die Nähte platzen.
– Arschlöcher. Die können mich mal alle.
Er steigt die Vortreppe hoch. Ein modriger Geruch nach k.u.k.-Mörtel entströmt der feuchten Fassade. Er lehnt den vom Kellner geliehenen Schirm neben die Haustür und sperrt die Tür auf. In der unsinnigen Hoffnung, daß jemand bei seinem Eintreten aufspringen und ihm den Mantel abnehmen wird, geht er die Zimmer des Untergeschosses ab. Ein Topfenkuchen, der noch in die Backform gespannt ist, steht zum Auskühlen auf der Anrichte in der Küche. Weitere Zeichen von Almas Anwesenheit findet er nicht.
– Alma! – – – Alma!
Er hört seine Frau aus dem oberen Stockwerk antworten, unverständlich: Ich bin hier! sollte das wohl heißen. Was er hingegen sehr gut verstanden hat, ist, daß Alma es nicht der Mühe wert findet, seinetwegen ihre Zimmertür zu öffnen.
Er wirft seine Aktentasche auf den Schreibtisch im Herrenzimmer. Auf dem Weg zurück in die Diele streift er die Schuhe ab. Als er mit der linken Socke in die selbstgezogene Wasserspur tritt, kommt ihm der Einfall, ein heißes Bad zu nehmen, ehe er in eine trockene Garnitur schlüpft. Vielleicht ist ein Bad ein guter Anfang, vielleicht gelingt es ihm in der Badewanne, zur Ruhe zu kommen oder sich wenigstens an einen antriebslosen Zustand heranzuführen, der es ihm erleichtern wird, die neue Situation zu akzeptieren. Vielleicht kommt ihm das Bad auch für den Nachmittag zugute, für den sich Ingrid und Peter angekündigt haben. Sie wollen Möbel für das Haus holen, das sie vor vier Wochen erstanden haben, eine vorhersehbar strapaziöse Angelegenheit, vor der sich Richard am liebsten drücken würde – die beiden haben ihren eigenen Stil, dem muß man gewachsen sein.
Entspann dich, fordert Alma mit unerschütterlicher Regelmäßigkeit. Und er gibt regelmäßig zur Antwort: Ich bin weniger entspannt als andere, weil ich Verantwortungsgefühl besitze.
Er geht nach oben ins Bad und öffnet die Wasserhähne. Er wartet, bis heißes Wasser in den Rohren ist, dann verschließt er den Abfluß, nimmt die Flasche mit dem Schaum aus dem Schrank und gießt mit der Verschlußkappe etwas von der
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