Es geht uns gut: Roman
tiefgrünen Flüssigkeit in die Wanne. Bis die Wanne vollgelaufen ist, hat er zehn Minuten Zeit. Er geht hinaus, rechts über den Flur, dort klopft er sacht an Almas Schlafzimmertür.
In dem von zwei Fenstern erhellten Raum liest Alma ein Buch, halb liegend, halb sitzend, mit dem Kopf zum Fußende des Bettes, weil sie dort das bessere Licht hat.
– Schon zurück? Ich staune.
– Ausnahmsweise.
– So kenn ich dich gar nicht.
Es stimmt, eigentlich ist es undenkbar, daß er sieben Wochen vor einer Nationalratswahl, und sei’s an einem Samstag, nur kurz aus dem Haus geht.
– Ich wollte noch ins Ministerium und in Ruhe ein Memorandum über den Assuan-Hochdamm durcharbeiten. Aber der Regen hat mich nach Hause getrieben.
– Wohl ein Wetter, das sich im Tag geirrt hat.
Alma heftet ihre Augen auf Richard. Er fühlt sich nicht wohl unter ihrem Blick, mag sein, weil ihm bewußt ist, daß dies der Moment wäre, ihr zu sagen, daß die Partei ihn nicht mehr benötigt. Er sollte ihr sagen, daß er bald öfters zu Hause sein wird. Er sollte ihr sagen, daß ihn die Situation an seinen Cousin Leo erinnert, der bis 1953 in Kriegsgefangenschaft war und sich seine Rechte als Hausherr nach der langen Abwesenheit mühsam zurückerobern mußte. Er sollte sagen, daß er sich ein Bad einläßt, um die vage Idee, die er vom Privatleben hat, aufzufrischen. Er sollte so vieles sagen, und – durch ein plötzliches Entsetzen ahnt er die Wahrheit – vor allem sollte er wieder anfangen, sich Alma mitzuteilen.
– Von einer Kellnerin im Café Dommayer habe ich erfahren, daß das schlechte Wetter von den Satelliten kommt, die ins All geschossen werden und die Sonne nicht durchlassen. Vielleicht wird die Donau wieder einmal zufrieren.
Alma nickt. Offenbar hat Richard verlernt, etwas so zu sagen, daß andere lachen. Er tritt zum Fenster, das gegen den hinteren Garten geht. Die Gardinen sind zur Seite geschoben. Durch die Wasserschlieren blickt er auf die Obstbäume, die seit einigen Tagen Laub verlieren. Dunst steht in Hüfthöhe über dem Rasen. Richards Blick verschwimmt für einen Augenblick, gleichzeitig befällt ihn das Grauen, weil leerer Raum ihn umgibt, mehr leerer Raum, als seine Vorliebe für Respekt und Distanz erfordert. So klein dieses Land ist, für das er seine Kräfte aufwendet (oder aufgewendet hat), und so überschaubar das Haus und der Garten, die ihm gehören, ihm ganz allein: Alles ist immer noch groß genug, sich darin zu verlieren.
– Was liest du? fragt er.
– Nachsommer.
– Von wem ist es?
– Stifter.
– Adalbert Stifter, aha.
– Es ist eins der Bücher, die wir von Löwys bekommen haben. Es steht ein Datum drin, Weihnachten 1920, und auch der Preis, 24 Kronen.
– Ist das Buch spannend?
– Wenn man etwas für Seelen- und Landschaftsbilder übrig hat.
– Es heißt, die bedeutendste Landschaft ist das menschliche Gesicht.
– Gleich nach Österreich, das bekanntlich der Himmel auf Erden ist.
Klar, er weiß, sie nimmt ihn auf den Arm. Aber gut. Auch wenn es bis dorthin ein weiter Weg ist, mit den Jahren gewöhnt man sich an so manches.
– Ein friedliches, ein freundliches und schönes Land.
Alma streckt sich, sie dreht sich auf die Seite, Richard zugewandt. Sie trägt ein hellblaues, busenbetontes Kleid mit Karreeausschnitt. Ihrer Stimme ist anzuhören, daß sie das Kinn in die Hand gestützt hat.
– Vergeßlich fehlt in deiner Aufzählung. Ein Land, in dem man bei der Einreise die Vergangenheit abgeben muß oder darf, je nach Lage der Dinge.
(In dem man mit Vergessen bestraft oder belohnt wird, je nachdem, von welcher Seite man kommt, von links oder von rechts, wie in dem Weltspiel, mit dem Peter endgültig bankrott gemacht hat.)
Almas Worte sinken in Richard hinein, träge wie Ascheflocken. Er setzt sich auf die Bettkante, öffnet den seitlichen Reißverschluß an Almas Kleid und schiebt seine Hand hinein, über der Taille. Almas Gesicht verändert sich nicht. Ihre Atmung verändert sich nicht. Sie sieht aus wie jemand, der eine kurze Rast einlegt, wie jemand, der ohne Erwartung mit der Eisenbahn fährt. Sie bewegt sich in ihrer eigenen Wirklichkeit, die sich Richard nicht erschließt, in ihrer eigenen Geschwindigkeit. Sie entzieht sich Richard, indem sie sich seine Berührungen gefallen läßt.
Wie noch selten kommt Richard zu Bewußtsein, daß der Großteil des Glücks, das in diesem Leben für ihn bestimmt war, in Alma verkörpert ist und daß es dort in einer
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