Es geht uns gut: Roman
Liebe, aber da darf man seine Zweifel haben. Gut, die werden noch früh genug dahinterkommen, was für miserable Entscheidungen in letzter Zeit getroffen werden. Es sind schon bittere Pillen zu sehen, wie man den Sozialisten die Wähler in die Hände treibt. Diese unfaßliche Dummheit. Hohlköpfe samt und sonders. Flucht er. Und mit demselben Ingrimm klatscht er sich beidhändig Wasser ins Gesicht und über den Kopf, obwohl er weiß, daß er jetzt aussieht wie ein Vollidiot. Ein düpierter, gedemütigter, ausgetrickster Vollidiot. Ein weiterer Beitrag zur Verdüsterung seiner Laune, mitverantwortlich wie der total unzutreffende Wetterbericht, wie Almas Distanziertheit. Mitverantwortlich, wenn auch nicht ausschlaggebend: Wie der Undank der Welt.
Es ist die Lehre, die er seiner Meinung nach im Leben erteilt bekommen hat: daß man nicht anfangen soll, den Mitmenschen Gutes zu tun, wenn man es gedankt haben will. Die innere Nötigung, sich einzusetzen, muß der zentrale Antrieb sein, alles andere behindert nur und läuft oft genug auf Enttäuschungen hinaus. Wenn sich Dank einstellt, um so besser, aber erwarten darf man ihn nicht. Richard hat festgestellt, daß Dank und Anerkennung oft von Leuten gezollt werden, die man nicht auf der Rechnung hatte. Das sind dann diejenigen, für die man eingetreten ist, gleichgültig, ob das eigene Wähler sind oder die einer gegnerischen Partei. Hauptsache, man hat eine Sache für richtig befunden und mit eiserner Konsequenz durchgezogen. Aber in diesem Punkt versteht er sich mit den maßgeblichen Parteifreunden überhaupt nicht mehr. Erst vorhin beim Vieraugengespräch im Café Dommayer hat Dr. Gorbach wieder gesagt, daß das Interesse der Partei nicht zu kurz kommen dürfe. Aber was ist das Interesse der Partei? Das Richtige ist immer im Interesse der Partei, das muß doppelt unterstrichen werden. An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Als politischer Mandatar hat er die Verpflichtung, nicht nur für diejenigen dazusein, die ihn gewählt haben, er muß das Ganze im Auge behalten, die Nöte aller. Er ist ja nicht Minister der Partei, sondern Minister der Republik. Das ist die Basis seiner politischen Überzeugung. Aber ein Parteifreund, gleichgültig welchen Charakters, gilt heute leider mehr als ein noch so integerer Mann, der keiner Partei angehört. Einem von der Gegenpartei traut man erst gar nicht zu, daß er ein Ehrenmann sein könnte und in manchem recht hat. Diese Einstellung findet sich jetzt quer über alle Fraktionen. Auch er selbst, muß er sich eingestehen, hat bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg die Christlichsozialen für bessere Menschen angesehen, ganz wie auch die Sozialdemokraten dachten, sie seien bessere Menschen. Und erst die Nationalsozialisten, die sich einbildeten, sie stünden über allem. Dank Führer, Volk und Vaterland. Zu welcher Ernüchterung (gelinde gesagt) diese Einschätzung bei den Nationalsozialisten führte, ist bekannt. Doch alle andern fühlten sich in ihrer Selbsteinschätzung bestätigt, auch Richard, der beschloß, in die Politik zu gehen. Er legte sich ins Zeug. Er glaubte, alle Christlichsozialen würden es ihm gleichtun, würden sich bemühen, die Eigenschaften, die sie an politischen Gegnern verurteilen, bei sich selbst noch mehr zu bekämpfen als bei anderen. Leider muß er diese Überzeugung zum Ende seiner Karriere gründlich revidieren. Er muß erkennen, daß christlichsozial nicht automatisch bedeutet, demokratisch zu sein, nicht automatisch bedeutet, daß es einem um mehr als nur die eigenen Annehmlichkeiten geht, nicht bedeutet, daß man der Meinung des Gegners vorurteilsfrei entgegentritt, nicht bedeutet, daß man weiß, wieviel Alkohol man verträgt, nicht bedeutet, daß man sich verpflichtet fühlt, auf das zu verzichten, was man seinerzeit den Kommunisten vorgeworfen hat, nämlich sie würden Vielweiberei betreiben. Es machen die Parteifreunde genau das gleiche. Auch hier Kennedy, das große Halali. Und bei den Sozialdemokraten sieht es hinter den Kulissen mindestens ebenso traurig aus, wenn nicht noch trauriger. Dasselbe Halali. Und trotzdem, auch wenn diese Entwicklung Richard hart zusetzt, auch wenn ihm die Parteispitze keinen Dank weiß und ihn ins Abseits schieben will, bereut er nicht, soviel Kraft und Zeit in die Parteiarbeit gesteckt zu haben. Vielleicht ist irgendwohin ein Samen gefallen, vielleicht kommt seine Auffassung von der fundamentalen Verpflichtung eines öffentlichen Mandatars in einigen Jahren wieder
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