Es geht uns gut: Roman
für ihn nicht konvertierbaren Währung lagert und verrottet. Doch statt seine Hilflosigkeit zu bekennen oder schlicht zu sagen, daß er seine Frau nach wie vor liebt, nach all den Jahren, und daß es ihm nicht schwerfällt, sich das einzugestehen, fragt er:
– Wie kommt es eigentlich, daß du dich mir seit Monaten nicht mehr genähert hast?
Er starrt in Richtung des nach Süden gelegenen Fensters. Er kratzt sich am Kopf. Er weiß, er ist am Ende mit seinem Latein.
– Aber letzten Sonntag war doch, stellt Alma fest, mit einem Kopfschütteln, mehr amüsiert als unruhig angesichts eines Problems, das ihr unwirklich vorkommen muß.
Richard versucht sich zu erinnern, und tatsächlich, es fällt ihm wieder ein, Sonntag war doch , unten im Wohnzimmer, auf der Ottomane. Er wendet Alma das Gesicht zu, reuig, er weiß, daß er es falsch angepackt hat und jetzt nichts mehr erreichen wird.
– Es kommt mir halt so vor.
– Was darauf schließen läßt, daß du, sowie du deine Hosen anziehst, mit dem Kopf schon wieder bei der Arbeit bist.
Sie blicken einander an. Richard fällt ein, was Ludwig Klages vor mehr als zwanzig Jahren behauptete: Wenn in einer Ehe die beiden Partner sexuell übereinstimmen, ist alles andere weniger wichtig. Er und Alma hörten Klages gemeinsam bei einem Vortrag im Bösendorfersaal, und Richard betrachtete es von da an als Garantie, daß Alma und er immer eine gute Ehe haben würden. Was ihm an Alma von Anfang an gefallen hat, war unter anderem, daß sie seine tiefsitzenden Befürchtungen in bezug auf das weibliche Geschlecht innerhalb weniger Wochen widerlegte. In seiner Jugend hätte er nie zu hoffen gewagt, je einer Frau mit Bildung zu begegnen, die er nicht jedesmal unter Anwendung von Rhetorik würde dazu bringen müssen, mit ihm ins Bett zu gehen. Sämtliche Beobachtungen im Familien- und Bekanntenkreis hatten in diese Richtung gedeutet.
Er sagt:
– Mir war in letzter Zeit, als bedeute es dir nichts mehr.
– Es hat mir in der Tat schon mehr bedeutet.
Sie schaut in ihr Buch, als wolle sie sich vergewissern, daß sie die zuletzt gelesene Stelle auf Anhieb wiederfindet.
– Ich verstehe, sagt Richard.
Er stemmt sich gekränkt vom Bett hoch. Mit vor der Brust verschränkten Armen stellt er sich zurück ans Fenster. Er weiß, wenn er jetzt nach den Ursachen fragt, wird sie ihm ausweichend antworten, mit Verweis auf ein Buchzitat, oder Dinge sagen, die ihm bekannt sind, von denen er es trotzdem nicht mag, daß man sie ihm ins Gedächtnis ruft. Wie wenig anregend die Vorstellung ist, einen Mann mit dritten Zähnen zu küssen. Gut, das hat sie ihm vor einigen Jahren gesagt, das weiß er jetzt, das merkt er sich, sie hat es ihm gesagt, er möchte es nicht noch mal hören.
– Vielleicht wird alles irgendwann langweilig, gibt er zu bedenken.
Alma zieht den Reißverschluß an ihrem Kleid zu.
– Alles? will sie wissen.
– Ja, wenn man es nur lange genug macht. Auch die Arbeit.
Er ist nervös. Ärger. Scham. Angst? Verbitterung? Nicht das erste Mal muß er sich sagen, daß Alma eine harte, selbstbewußte Frau geworden ist. Sie kann viel einstecken, denkt er. Nicht gut Kirschen essen mit ihr. Ihr schüchternes Lächeln, als sie Anfang zwanzig war, hat er schon lange nicht mehr gesehen. Ob es diese Dinge noch gibt?
– Nur ein Idiot wirft tagein, tagaus seinen Oberkörper vor und zurück, ohne daß es ihm eines Tages zu dumm wird.
Alma lacht stirnrunzelnd:
– Ein seltsames Bild.
Und unmittelbar darauf, in einem anderen Tonfall, ohne den geringsten Verdacht, das geringste Interesse an dem, worauf er hinauswill:
– Du solltest nach deinem Bad sehen.
Mit schlaff am Körper liegenden Armen und geöffneten Beinen liegt Richard im heißen Wasser und sagt sich, daß Alma ihn sowenig braucht wie die Partei ihn noch braucht. Seine sogenannten Parteifreunde. Schöne Freunde. Schieben ihn aufs Abstellgleis ohne ein einziges sachliches Argument. Oder weil ihm das Fernsehen nicht paßt, wo es einem auf dem Bildschirm den Kopf verzerrt wie in einem Fischauge. Oder weil die Jungen sich einbilden, sie seien John F. Kennedy. Diese Armleuchter. Es wäre zum Kranklachen, wenn einem nicht gleichzeitig das kalte Kotzen käme. Alles, was recht ist. Von politischem Charme und der Höhe der Zeit faseln, aber nicht wahrhaben wollen, daß die wichtigsten Grundlagen im Leben Verantwortungsgefühl, Sorgfalt und Respekt sind. Dr. Klaus? Das soll der kommende Mann sein? Sieht der so aus? Bei aller
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