Es geht uns gut: Roman
sie, daß sie eine Leiche beiseite schaffen muß, eine grausliche Angelegenheit. Entsprechend ist die Stimmung, als sie vom Krachen des Schneepflugs unten im Hof erwacht. Obwohl es noch dunkel ist, strahlt der Schnee ein wenig Helligkeit in den kleinen Raum, so daß Ingrid ohne Licht aufstehen kann. Sie putzt gerade die Zähne, als das Telefon sein Klingeln gegen die Metallspinde wirft. Es ist Schwester Bärbel, die wissen will, ob es Ingrid gutgeht. Ingrid rennt rüber und hilft Blut abnehmen. War noch was? Wie ist der Zustand der anderen? Frau Mikesch, den Kopf auf der rosaroten Spitzenkrause des Nachthemds, verweigert beharrlich die Blutabnahme, einerseits (Ingrids Eindruck) weil Frau Mikesch diese Weigerung für ihre Psyche braucht und daraus die Energie zum Gesundwerden zieht, andererseits um einen Anlaß zu schaffen, der Ingrid nötigen soll, sich auf Frau Mikeschs endloses Reden einzulassen (auch das zu therapeutischem Zweck). Ingrid läßt Frau Mikesch grantig in ihrem Bett sitzen und verrichtet den Rest der anstehenden Arbeit. Anschließend trinkt sie eine Tasse schwarzen Kaffee und berichtet den Kollegen, die den Dienst antreten, von den Vorkommnissen der vergangenen Nacht: Frau Grauböck gestorben, ihr Tod eine Katastrophe. Frau Mikesch eine Nervensäge.
Oberarzt Doktor Kalvach streichelt Ingrid die Haare, was Ingrid als Ausdruck größten Wohlwollens auffaßt. So was hat Kalvach bisher nie getan, und es ist väterlich gemeint. Ingrid freut sich darüber. Kollegin Ladurner gibt sich derweil die Blöße, allen zu erzählen, daß sie auf ihren Mann grantig ist und deshalb später nach Hause kommen will, um ihm selbiges heimzuzahlen. Kindisch. Ingrid würde so was nie betreiben. Aber es kann ihr recht sein, daß Kollegin Ladurner drauf aus ist, ihre Eheprobleme mit Arbeit suffizient zu therapieren, da braucht sie selbst kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn sie das Haus so früh wie möglich verläßt. Sie memoriert rasch die Gänge, die sie am Vormittag zu machen hat, dann deklariert sie Kollegin Ladurner ihre eigene Ehe:
– Ich bin seit 11 ½ Jahren verheiratet.
– Das schaffe ich nie, sagt Ladurner.
Und eine junge Schwester gibt ebenfalls ihren Kren dazu:
– Ich auch nicht, schon gar nicht, wo hoffentlich bald neue Scheidungsgesetze kommen. Da werden wir die Männer schön angelehnt lassen.
Nach dem entsetzlichen Tod von Frau Grauböck hat Schwester Bärbel Ingrid in alle Affären des Hauses eingeweiht. Sowie jemand stirbt, kann man damit rechnen, die vertraulichsten Dinge zu erfahren, das ist Ingrid schon öfters aufgefallen. Da hat jeder sein Maß, der eine zum Weinen, der andere zum Reden. Dem Vernehmen nach stimmt Kollegin Ladurner ihre Nachtdienste mit einem Assistenten der Chirurgie ab, einem Ägypter. Ingrid fragt sich, warum sie selbst so blöd ist und nicht ebenfalls anfängt, ihre Fähigkeiten in puncto Fremdgehen auszuloten. Vermutlich, weil ihr die momentane Einteilung mit Mann-Kinder-Berufstätigkeit-Haushalt auch ohne Liebhaber zum Kragen herauswächst. Ein Pantscherl, denkt sie, ist genau das, was mir auf dem Weg ins Narrenhaus noch fehlt.
Drei Aufnahmen und Telefonate um ihre Lohnzettel mit der AUVA und mit dem Rathaus. Die Frau von der AUVA kennt Ingrid sogar noch beim Vornamen, was Ingrid verblüfft. Auch im Rathaus ist man sehr dienstbeflissen. Beide schicken ihr die Lohnzettel von 1968. Somit kann der Wohlfahrtsfonds haben, was er will.
Die Morgenbesprechung ist dann der Schock zum endgültigen Wachwerden. Der Chef hat eine Art wie in der NS-Zeit. Es läuft Ingrid kalt über den Buckel. Diesmal regt er sich darüber auf, daß etliche Kollegen Termine in anderen Häusern wahrnehmen, während sie hier noch im Dienst sind. Er sagt, diese Sümpfe werde er trockenlegen. Er nennt sogar Namen, coram publico, was betretene Gesichter bei den Oberärzten zur Folge hat. Aber den meisten ist es zu gönnen. Dann heimst ein Kollege Lob für Dinge ein, die auf Ingrids Konto gehen. Aber weder der Kollege sagt etwas noch Ingrid. Die ärgert sich bloß, das war ich , müßte sie sagen, und sei’s nur, damit es wenigstens die Kollegen hören, die in unmittelbarer Nähe sitzen. Müßte sie. Aber sie gibt keinen Laut von sich, vielleicht weil sie nach den bedrückenden Ereignissen der vergangenen Nacht nicht begreifen kann, wie solche Ungerechtigkeiten überhaupt möglich sind und warum der Primar ihr den Schrecken nicht ansieht, den sie irgendwie verdauen muß.
Wieder am Gang, erntet das
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