Es geht uns gut: Roman
Verbundenheit, darüber wolle er nicht sprechen, Philipp halte sich auch sonst aus allem raus oder, was das Ganze nicht besser mache, interessiere sich für nichts. Philipp überlegt, wie Steinwald dazu kommt, sich zu dieser Behauptung zu versteigen, immerhin ist es Steinwald, der bei Tisch gewöhnlich nicht zum Reden zu bringen ist oder den Mund außer zum Essen und Gähnen zu nichts anderem aufmacht als zur Kommentierung schon besorgter oder noch anstehender Arbeiten. Philipp hakt dennoch nicht nach, denn er weiß, daß Steinwald und Johanna die Köpfe zusammenstecken. Ehe er auch von Steinwald gesagt bekommt, was er ständig von Johanna gesagt bekommt, daß alles so unbestreitbar sei wie die Tatsache, daß Tote stinken, bleibt er lieber still.
Vor ein paar Tagen, das fällt ihm jetzt wieder ein, weigerte sich Steinwald, ihn (Philipp) bis zur Kennedybrücke mitzunehmen. Philipp hatte dort ein Eis essen wollen, Banane, Malaga, und war aus Fassungslosigkeit darüber, daß ihm Steinwald die Mitfahrt ohne Angabe von Gründen abgeschlagen hatte, zu Hause geblieben.
Steinwald dreht ihm den Rücken zu und läßt sich demonstrativ auf den Fahrersitz plumpsen, so daß der ganze Wagen wackelt. Er dreht den Zündschlüssel um. Im Autoradio quakt eine von Interferenzen bedrängte Stimme über Rinderwahnsinn und gesunkene Fleischpreise. Steinwald startet und putzt den Motor durch. Er verstellt den Rückspiegel. Dann winkt er Atamanov, er solle vorwärtsmachen. Der Schotter knirscht. Schon hat der Mercedes das Tor erreicht, schert raus auf die Straße und ist verschwunden. In gedrückter Stimmung, wie schon zuvor, setzt Philipp sich dorthin zurück, wo er derzeit als einziges hingehört und ihm das Leben am ehesten einen erträglichen Geschmack hinterläßt: auf die Vortreppe. Während er sich dort beiläufig beschäftigt, mechanisch an der großen Zehe des rechten Fußes zieht und so ein hör- und spürbares Knacken erzeugt (als ob sonst nichts zur Disposition stehe), wartet er auf den Moment, den er für geeignet ansieht, etwas anzupacken – die Briefe zum Beispiel, die er am Vormittag im Schuhkasten gefunden hat.
Doch die Stunden schwinden dahin, eine nach der andern, ohne daß Philipp sich zu etwas Entscheidendem aufraffen kann. Er ist nach wie vor nicht wirklich bereit, sich in die Gefahr zu begeben, daß er mehr erfährt, als er wissen will, oder aufwärmt, was ihm halb ausgestanden im Bauch herumgeht. So hat er wenig erreicht, sich nur in eine schlechte Stimmung hineinmanövriert, als gegen halb sieben Steinwald und Atamanov zurückkommen, im Kofferraum ein neuer Gartengrill (rot), den sie Philipp zum Dank für seine Freigebigkeit schenken, dazu Koteletts, Würste und Bier für ein Grillfest mit mindestens zehn Personen.
Philipp freut sich aufrichtig, ist auch froh um die Ablenkung und fordert die beiden auf, ihre Freunde und Verwandten einzuladen. Das läßt Steinwald mürrisch und Atamanov deprimiert werden. Die Arbeiter ziehen es vor, Ordnung zu schaffen. Sie tragen ein paar morsche Dielen hinter die Garage, o-beinig, mit rausgestreckten Hintern, damit ihre Anzüge nichts abbekommen. Philipp indes rennt geschwind zur Mauer, um eventuelle Nachbarn ausfindig zu machen, die gewillt sind, an dem Grillfest teilzunehmen. Von jedem Stuhl aus macht er Klimmzüge und ruft Hallos in die nachbarlichen Gärten. Aber die Hallos verhallen wie abgeschmettert, und er selbst sinkt wie abgeschmettert zurück auf die Stühle. Ein Rasensprenger zischt. Es liegen Dinge auf den Terrassen, die Philipp bisher nie gesehen hat. Ein gelber Liegestuhl ist neu hinzugekommen. Aber die entsprechende Frau oder rülpsende Tochter reicher Eltern, ein grundgelehrtes Buch als Sonnenschutz über dem Gesicht, fehlt. Und mit ihr alle. Alle.
Auf dem Weg zum letzten Stuhl stellt er sich vor, er würde die Tochter des Wessely-Verwandten über die Mauer hinweg anrufen und fragen, wie es ihr geht und ob sie einen Freund hat. Wenn nicht, wolle er sie zu sich in den Garten einladen und mit sich bekannt machen. Vielleicht wolle ja auch sie sich mit ihm bekannt machen und mit ihm spazierengehen, einfach die Gartenmauer entlang, vielleicht sieben oder acht Mal. Das hätte er der Tochter des Wessely-Verwandten vorgeschlagen, wenn sie in dem gelben Liegestuhl gelegen oder in einer Hollywoodschaukel ihre Zehennägel gefeilt hätte. Aber dies- und jenseits der Mauer bleibt alles still, und wenn er den Atem anhält, kann er in seinem Kopf die Müdigkeit summen
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