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Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Titel: Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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sechsundfünfzig Pfennig«, schrieb Sigi als Letzter auf die Liste. Das war alles, was er besaß.

12
    Es war ein herrliches Schützentreiben in diesem Jahr gewesen. Den Offizieren der Sebastianer waren neue Schützenhüte bewilligt worden, grün mit langen weißen Hahnenfedern. Der Kindernachmittag hatte die Väter in Schweiß gebracht, so viele Mädchen und Jungen waren erschienen. Mit Stolz konnte der erste Leutnant feststellen, dass sogar von der konkurrierenden Ambrosius-Bruderschaft am Ort die Kinder der Offiziere gekommen waren, sicher ohne Wissen der Väter. Gerade das stärkte die Überzeugung der Sebastianer, eben doch die maßgebende Bruderschaft in der Gemeinde zu sein. Beim Gedenken an die Toten des Krieges 1870/71 hatte der Obrist eine zu Herzen gehende Rede gehalten. Der gute Stern der Sebastianer, das kleine Bienchen, ein Mädchen in langem weißem Kleid, das Bündel Sebastianspfeile über der Schulter, hatte ohne Stocken das Gedicht vom toten Helden unter grünem, kühlem Rasen zu Ende gesprochen. Die Liedertafel Harmonia von 1831 stattete ihren Beitrag ab und sang vom heil’gen Vaterland, von Söhnen, Kaiser, Blut und Ehre. In der Großen Kirche segnete Kaplan Wilbig die neue Fahne. Der Fahnenjunker Klas Strünk zeigte bei der anschließenden Parade seine Künste, ließ das neue Tuch rundum sausen, warf es empor, fing es geschickt wieder auf und drehte enge und schnelle Kreise, wie es ein Fahnenschwenker nur nach langer Übung fertig bringt.
    Beim Königsschießen hatte es keine Überraschungen gegeben. Der Mann, den der Vorstand ein halbes Jahr zuvor zum besten Schützen bestimmt hatte, gab gegen Ende des Wettbewerbs den siebzehnten Schuss auf den zerzausten Vogel ab. Er fegte ihn gerade in dem Augenblick ruhmreich von der Stange, als der Vorstand sich bereits insgeheim die Haare raufte, weil die Platzpatronen für die Mitbewerber auszugehen drohten und diese schon offen ihre Verwunderung darüber aussprachen, dass trotz ruhiger Hand und sicheren Auges kein noch so winziger Holzspan von dem zerrissenen Vogelrumpf absplitterte. Begeistert hoben die Schützen den neuen König in die Thronsänfte und trugen ihn rund um das Schützenhaus am Grafenberg. Alle brachen in Hochrufe aus. Wenn auch diesem oder jenem der reiche Herr Childrau nicht nach dem Herzen war, nach dem Magen war er gewiss jedem, denn so manche Runde war von diesem König zu erwarten. Da er auch sehr leutselig ins gemeine Volk hineinwinkte, kam er seiner Pflicht den Untertanen gegenüber voll nach; denn was darf das Volk mehr von einem guten Herrscher erwarten als Brot und Spiele, wobei in diesen fetten Jahren das flüssige Brot, das Theo III. zu spenden gewillt war, gern genommen wurde.
    Die Vorfreude erreichte jedes Mal den Siedepunkt, wenn das Gespräch auf den bevorstehenden Krönungsball kam. Theo III. hatte dem Vorstand vorgeschlagen, den ganzen Schützensaal in Rot-Weiß zu halten. Rote und weiße Nelken sollten die Tische schmücken, Blumen, die er eigens aus dem nahen Holland kommen lassen wollte. Für das Gefolge stiftete er rot-weiße Schärpen. Die Töchter des Königs kleideten sich wie Schneeweißchen und Rosenrot, rot-weiße Straußenfedern bewilligte er für Frau und Königin Hendrina, kurzum, das, was man einen fein abgestimmten Geschmack nennt, kam zum Zuge. Rot-Weiß war auch politisch wieder unbedenklich geworden, nachdem der eiserne Kanzler in Berlin die Sozialistengesetze vor einigen Jahren durchgepaukt hatte.
    Mit Rotwein und Weißwein als Pflichtgetränk jedoch war Theo nicht durchgedrungen, weil eben Bier und Korn dem allgemeinen Geschmack mehr entsprachen. Geheimnisvolles Getuschel und Mutmaßungen galten der Kapelle, die zum Fest verpflichtet worden war. Sicher wusste man nur, dass das bruderschaftseigene Blasorchester zum Auftakt »Alte Kameraden« spielen würde und dann frei zum Tanzen war. Aber wer spielte auf? Zeitweise gelang es diesen Gesprächen, das Mordgeflüster zu verdrängen, das seit dem Peter-und-Pauls-Tag das beherrschende Thema gewesen war.
    Strammen Schrittes, die Holzgewehre geschultert und Sträußchen am Hut, marschierten die drei Kompanien durch die Stadt zum Grafenberg hinauf, der Hauptmann zu Pferde voran. Der König und das Gefolge grüßten aus der offenen Kutsche und warfen den Kindern Karamellen zu. Weniger militärisch, aber ebenso zielstrebig gingen die Frauen in Gruppen Arm in Arm zum Schützenhaus hinauf. Die alten Kastanien, die die Allee in einen Laubengang verwandelten,

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