Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft
gesagt haben.«
Da berichtete Sigi kurz, wie es ihm ergangen war. Der Vater streifte ihm sein Hemd von der Schulter. Die Striemen schimmerten im Licht grünlich und waren immer noch geschwollen. »›Ausräuchern sollte man euch Judenpack‹, das war das Letzte, was sie mir nachriefen«, schloss Sigi.
»Ihr hört es und seht, dass es bereits gar nicht mehr darum geht, ob wir hineingezogen werden wollen oder nicht, wir stecken alle bereits mitten darin«, sagte Herr Pfingsten.
Rubi Josefowitsch fuhr auf: »Und ich sage euch noch einmal, es war dumm, dass wir hier zusammengekommen sind. Es wird sich herumsprechen, und man wird die Männer, die hier um einen Tisch sitzen und so geheimnisvoll reden, auch in einen Topf mit den Übeltätern werfen.«
»Mitgefangen – mitgehangen«, pflichtete Sammy Deichsel bei.
Da sprang Bartel Scheldis auf, er, der als der Bedächtigste im ganzen Kreise galt. Erregung klang in seiner Stimme: »Übeltäter? Fangt ihr denn auch schon an, den Kopf zu verlieren? Was hat Waldhoff denn getan?«
Er suchte nach Worten. Sammy fuhr dazwischen: »Tja, wenn wir das nur wüssten … Bist du denn sicher, dass Waldhoffs Wolle so weiß ist?«
Ängstlich blickte Sigi auf Herrn Pfingsten, ruhig antwortete der: »Ich kenne Waldhoff von Jugend an. Ihr alle kennt ihn. Ich weiß, dass er kein Kindesmörder ist.«
Bartel Scheldis nickte, und viele murmelten beifällig. Rubi und Sammy aber sahen sich an und lächelten sich zu, als ob sie im Besitz großer Geheimnisse wären.
»Wir wissen«, fuhr Herr Pfingsten fort, »dass an Waldhoffs Händen kein Blut klebt. Aber wird man uns glauben?«
»Eben, eben«, sagte Parnitzki. »Das ist es ja. Wenn wir bei den Bauern und Metzgern auch tausendmal sagen: ›Der Waldhoff hat es nicht getan‹, dann wird man uns entgegenhalten: ›Ihr haltet ja zusammen wie Pech und Schwefel; eine Katze kratzt der anderen kein Auge aus.‹«
»Wir können nur helfen, die ganze Wahrheit ans Licht zu bringen«, sagte Herr Pfingsten.
»Aber wie?«, fragte Parnitzki.
Bartel Scheldis nahm einen tiefen Schluck aus dem Glas, schob es auf die Seite, blickte von einem zum anderen und sagte: »Ich halte nicht viel von dem Kriminalkommissar aus Düsseldorf. Ich meine, er hat sich in seine eigene Geschichte verliebt und hat nur das aus den Zeugenaussagen herausgehört, was in sein Fantasiebild passt. Nicht, dass er sich keine Mühe gegeben hätte. Im Gegenteil! Er hat ja so viele Leute verhört, dass wir uns fragen, wann er überhaupt schläft. Aber schafft er es, den wirklichen Täter zu finden? Verweht nicht mit jedem neuen Tag die richtige Spur ein wenig mehr? Wir müssten für diesen verwickelten Fall den besten Mann hier haben, den es gibt.«
»Vielleicht Kriminalkommissar Hundt aus Berlin«, kicherte Sammy.
»Warum eigentlich nicht?«, fragte Herr Pfingsten. Er schien sich an diesem Gedanken zu entzünden. »Herr Hundt, das ist der richtige Mann. Vielleicht gelingt es seiner Spürnase, die alte Witterung aufzunehmen.«
»Und die Kosten? Wer soll das denn bezahlen?«, warf Rubi Josefowitsch ein. »Die Regierung in Berlin wird sich bedanken.«
»Der Waldhoff schafft das sicher auch nicht«, setzte Sammy hämisch hinzu.
»Weil Vater nur ehrliche Geschäfte macht«, entschlüpfte es Sigi.
Sammy Deichsel sprang auf, doch bevor er sich beschweren konnte, wies Herr Pfingsten Sigi zurecht: »Es ist hier nicht üblich, dass der, der auf dem letzten Platze sitzt, ungefragt etwas sagt. Halte dich daran, Junge!« So nahm er Sammy den Wind aus den Segeln. Der begnügte sich mit der Bemerkung »Rotzjunge« und setzte sich wieder.
»Wir werden eine Spendenliste herumgehen lassen«, schlug Herr Pfingsten vor, schritt zu seinem Schreibtisch und kehrte mit Papier und Bleistift zurück.
Er sagte: »Ihr wisst, dass wir eine beträchtliche Summe brauchen werden. Euer Verstand sagt euch, dass ihr das nicht für Waldhoff zahlt, sondern dass wir alle in einem Boot sitzen. Wer das nicht einsehen will, der mag das Geld eben für die Gerechtigkeit geben.«
Der Bogen kreiste. Unter die stattliche Summe von hundert Talern, die Herr Pfingsten an die Spitze geschrieben hatte, reihten sich je nach dem Vermögen der Männer und nach der Bedeutung ihres Handels größere oder geringere Beträge. Allerdings konnte sich nur Scheldis erlauben, es Herrn Pfingsten gleichzutun. Parnitzki musste sich mit fünf Mark begnügen. Jeder wusste, dass selbst das ein Opfer für ihn war. »Neunundvierzig Mark,
Weitere Kostenlose Bücher