Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Titel: Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
Vom Netzwerk:
Junge. Weißt du doch.«
    »Ich werde sie verkaufen, Mutter.«
    In der Werkstatt mühte er sich das Blut, den Schmutz und den Schleim der Aale abzuwaschen, doch er vermied es, in den Spiegel zu sehen. Er wollte nicht wissen, wie sein Gesicht aussah.

11
    Niemals zuvor hatte Sigi so beten können wie an diesem Abend in der Synagoge. Die Psalmen, sonst ein Buch mit sieben Siegeln, hatten mit einem Male Gewicht bekommen. Sie schienen wie für ihn geschrieben: »Herr, nicht in deinem Zorne strafe mich. Erbarme dich meiner, oh Herr, denn arm bin ich, heile mich, Herr, denn zerfressen ist mein Gebein, geprügelt meine Seele, du Herr, wie lange noch?«
    Noch das Gebet auf den Lippen, noch die Worte tief im Herzen, trat er mit Vater aus der Tür. Doch Vater ging nicht den gewohnten Weg über den Markt nach Hause, sondern folgte den anderen Männern, die in die Hohe Straße einbogen. Sie gingen einzeln oder in kleinen Gruppen. Bald merkte Sigi, dass dieser Weg zu Pfingstens Haus führte. Er wunderte sich über die Heimlichkeit, mit der die Männer das Haus betraten. Was hatten sie vor? Weshalb trafen sie sich nicht im »Goldenen Apfel« oder im »Hotel zur Drachenburg«? Gab es ein Geheimnis zu besprechen? Er konnte sich das nicht erklären, zumal es nie die Art der Juden in dieser Stadt gewesen war, außer in der Synagoge unter sich zusammenzukommen. Und selbst die Synagoge wurde von einigen gemieden. Der Vater nannte sie »die Liberalen«. Doch auch die saßen bei Pfingsten in der Runde um den Tisch. Wenige mehr als ein Dutzend Männer waren es, Juden, die älter als 13 Jahre waren und die in diesem Orte wohnten, friedlich, als Bürger unter Bürgern. Sigi war der Jüngste, wenige Monate zuvor erst war er als Vollmitglied in die Gemeinde aufgenommen worden und von da an ein Bar-Mizwa, ein Sohn der Pflicht. Den Segensspruch durfte er in der Synagoge sprechen und eine kleine Rede halten. Er saß nun auf dem letzten Platz und konnte Herrn Pfingsten, dem Vorsteher, gerade ins Gesicht schauen. Ernst sah der heute aus. Düster starrte er vor sich hin. Niemand versuchte, ihn in ein Gespräch zu ziehen. Die Männer redeten leise; vom heißen Sommerwetter; vom Handel; vom bevorstehenden Schützenfest. Doch hinter ihren alltäglichen Worten lauerte irgendetwas. Sigi spürte es. Sie waren nicht wegen des Wetters, des Handels, des Festes beisammen.
    Frau Pfingsten goss aus einem Bunzlauer Krug Wein in langstielige Gläser, gelben Wein. In Sigis Glas gab sie nur ein Schlückchen und lächelte ihm zu. Sie flüsterte endlich ihrem Mann etwas ins Ohr. Der nickte, blickte in die Runde und gab ihr einen Wink. Sie verließ das Zimmer und zog die Tür hinter sich ins Schloss. Die Männer verstummten und blickten auf den Hausherrn. Sigi war befangen. Schließlich räusperte sich Herr Pfingsten, nahm die Zeitung des Vortages aus der Seitentasche und sagte: »Ihr kennt alle den Zeitungsbericht. Ich habe euch seinetwegen hierher eingeladen, denn das, was darin steht, wird nicht ohne Folgen bleiben.«
    »Was geht das uns an?« Ruben Josefowitsch schob angriffslustig seinen Kopf vor. Alle sahen ihn an.
    »Wie meinst du das, Rubi?«, fragte Herr Pfingsten.
    »So, wie es gesagt ist. Das ist Waldhoffs Angelegenheit, und wir sollten uns hüten, uns da einzumischen.«
    »Du weißt genau, Rubi, dass Waldhoff etwas angehängt werden soll, für das er nichts kann«, sagte Herr Pfingsten.
    »Ich möchte darauf verzichten, in dieses Gerede hineingezogen zu werden.« Ruben Josefowitsch war erregt. »Ihr könnt euch ausmalen, wohin das führt, wenn wir Juden uns darum kümmern. Es wird dann nicht mehr ›der Waldhoff‹ heißen, sondern ›die Juden‹.«
    »Recht hat er, recht«, bellte Sammy Deichsel.
    Sigi schaute ihn an. Er konnte sich denken, warum Herr Deichsel sich auf Josefowitschs Seite schlug. Es war noch nicht lange her, da hatte Vater sich mit ihm gestritten und hatte ihm vorgeworfen, dass er krankes Vieh gekauft und für gutes Geld dem jungen Metzger Bürger aufgeschwätzt habe. »Was geht dich das an?«, hatte Sammy damals höhnisch gefragt. »Geschäft ist Geschäft.«
    Da war Vater zornig geworden und hatte ihm vorgehalten: »Geschäft nennst du das? Ich nenne das Betrug.« Sammy hatte Vater nur verächtlich angeblickt und die Achseln gezuckt. Irgendetwas, das wie Neidhammel klang, hatte er gemurmelt und war davongegangen.
    Sigi wurde aus seinen Gedanken aufgeschreckt. Herr Pfingsten redete ihn an: »Erzähle du, was sie dir gestern getan und

Weitere Kostenlose Bücher