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Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)

Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)

Titel: Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky
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worden. Die Ruhe, die tagsüber zu verzeichnen gewesen war, hatte die leitenden Stellen keineswegs zu einer optimistischen Beurteilung der Lage veranlasst. Angesichts der jüngsten Ausdehnung des Aufruhrherdes bis zum Kleinen Thiergarten rechnete man vielmehr mit der Möglichkeit, dass sich der Mob aus anderen Stadtteilen nach Moabit in Marsch setzen könne, und hatte für eine Sicherung der natürlichen Einfallstore dieses Stadtteils Sorge getragen. So waren für den Fall einer Zusammenrottung im Thiergarten unter anderem starke Polizeimannschaften in der Kaserne des 4. Garderegiments in der Rathenower Straße zusammengezogen worden. Zudem standen für den Notfall die Soldaten zur sofortigen Unterstützung der Polizei bereit. Polizeimajor Klein hatte sich trotz seines hohen Alters und einer Verwundung am Knie, von einem Steinwurf herrührend, im Laufe des Tages mehrmals mit Hauptmann von Heeringen, dem Kommandeur der Charlottenburger Polizei, getroffen und über gemeinsame Maßnahmen der beiden Nachbarstädte verständigt.
    Um 17 Uhr versammelte Major Klein die Polizeioffiziere zu einer Konferenz um sich. Man beschloss, energisch gegen die Exzedenten vorzugehen und sofort von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Um mehr Wirkung zu erzielen, wurden in der Rostocker Straße fünfzig Polizisten mit Karabinern ausgerüstet. Dazu kamen an dieser Stelle etwa zwanzig Berittene und hundert Kriminalschutzleute. Vor jedem Hausflur mussten sechs bis acht Kriminalbeamte Posten beziehen, während die mit Karabinern ausgestatteten Schutzleute zu zweit beziehungsweise zu viert die Straßen ständig auf und ab patrouillierten, um Bewohner, die sich an den Fenstern zeigten, zu warnen. Die Rostocker Straße bot somit ein äußerst kriegerisches Bild. Die Mehrzahl der Fenster war unbeleuchtet und verhängt; die Straße war bis auf die Beamten menschenleer. Wenn sich hier und da ein neugieriger Kopf am Fenster oder auf dem Balkon zeigte, legten die Schutzleute sofort den Karabiner an und schrien «Sofort verschwinden!» nach oben.
    Die Aufrührer verlegten sich auf eine andere Taktik. Pfiffig bombardierten sie die Einsatzleitung mit Hunderten von anonymen Anzeigen. Einmal sollte das Bollesche Unternehmen, dann wieder das Kupfersche Anwesen geplündert werden, schließlich hieß es, man wolle das Zellengefängnis Moabit stürmen. Daraufhin lud man im Polizeipräsidium bergeweise Fackeln und Acetylenlaternen auf zwei Möbelwagen und schaffte sie unter dem Schutz einer starken Eskorte zum Lagerplatz in der Sickingenstraße. Als der Transport in der Mitte der Berlichingenstraße angekommen war, öffneten sich plötzlich verschiedene Fenster der dort gelegenen Häuser, und nun sausten Steine auf die Beamten herab. Die eröffneten sofort das Feuer, ohne aber, wie es schien, jemanden getroffen zu haben.
    Hermann Kappe und Gustav Galgenberg versuchten auch an diesem Abend alles, um nicht in die Schusslinie zu geraten. Die Rostocker Straße hatten sie von Anfang an gemieden. Ihre Suche nach Dlugy war aber bisher vergeblich gewesen.
    «Vielleicht ist es doch besser, wir wenden uns an Major Klein», gab Galgenberg zu bedenken. «Dann hätten wir die Unterstützung Hunderter Kollegen.»
    «Aber die Leute würden uns sofort die Tür vor der Nase zuschlagen», widersprach ihm Kappe. «Oder schießen gar auf uns.»
    «Na ja: Besser ein Schuss in den Ofen als einer ins Herz», sagte Galgenberg. «Aber wie diesen Dlugy finden? Wenn er ein Schweinebraten wäre, könnt’ ick ihn riechen, so aber. .. Dass der ooch Gustav heißt wie icke, stimmt mir traurig.» Galgenberg fand das wirklich empörend. «Aba: Det Traurigsein hat ja keenen Zweck, Jrieneisen holt die Leiche weg.» Er stutzte. «Sagen Sie mal, Kappe, liegt denn die verkohlte Leiche vom Kohlenplatz noch immer in der Pathologie - oder haben sie den Tilkowski schon begraben?»
    «Soweit ich weiß, wird die Trauerfeier erst Anfang Oktober sein. Im Krematorium Wedding.»
    «Na, viel einzuäschern is ja bei dem nich mehr. Ist denn seine schöne Braut schon wieder aus’m Krankenhaus raus?»
    «Ja, ich habe sie neulich am Bahnhof Beusselstraße getroffen.»
    «Schade um det schöne Paar», sagte Galgenberg und wurde poetisch. «Lass mir an deinem Busen / noch eenmal schmusen. / Da sprach sie unter Tränen: / ‹Ick hab ja keenen. / Den, wo ick jestern hatte, / der war von Watte. / Und jeden Tag ’n neuer, / det kommt mir zu teuer.› - Na, der von der Sophie Schünow is bestimmt nich aus Watte. Wär

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