Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)
wusste, was hier gespielt wurde, konnte sie für ein Freundespaar halten, das sich in trauter Unterhaltung befand.
Kappe sah keine Chance, seinem Schicksal zu entgehen. Sie kamen am Lagerplatz von Kupfer & Co. vorbei, und gerade rollte mit lautem «Hüh!» ein Kohlenwagen auf die Straße, eskortiert von zwei berittenen Schutzleuten. Eines der Pferde stieg dabei hoch und machte Anstalten, durchzugehen und dabei Kappe und Weißagk niederzureiten.
Schon hatte es der Schutzmann durchpariert, doch diese eine Sekunde, während derer Weißagk abgelenkt war, genügte Kappe, beherzt zu handeln. Er ließ sich ganz einfach fallen und umschlang dabei Weißagks Knie, um ihn zu Boden zu reißen. Doch der schoss nun wirklich mit seiner Pistole. Kappe aber war schon so weit abgetaucht, dass die Kugel ihn nur noch streifte. Er warf sich auf den Verbrecher, und im Nu war der Spuk vorbei. Galgenberg und die anderen Schutzleute waren heran und brachten Weißagk in ihre Gewalt.
Kappe erhob sich, schloss die Augen und dankte, obwohl mehr Atheist als Christ, seinem Schöpfer.
VIERZEHN
Sonntag, 9. Oktober 1910
HERMANN KAPPE bekam den Ball auf der Höhe der Mittellinie zugespielt und sah, als er etwa dreißig Meter gelaufen war, dass er nur noch zwei Gegenspieler vor sich hatte. Den ersten überlief er ohne Mühe, der war eine lahme Schnecke, aber der zweite war ein Riesenproblem. Mächtig wie Samson stand er da, ein Fels, aber einer, der ausschlagen konnte. Wer von seinen Fußballschuhen getroffen wurde, konnte sich auf einen längeren Krankenhausaufenthalt einstellen. Kappe täuschte links an, um rechts an dem Riesen vorbeizuhuschen, doch der tat ihm den Gefallen nicht, sich verladen zu lassen. Kappe drehte sich einmal um die eigene Achse und suchte nach einer Möglichkeit, den Ball abzuspielen. Aber keiner seiner Mannschaftskameraden hatte sich frei gelaufen. Sekundenlang war er ratlos. Seine Verfolger waren fast heran. Da hatte er die rettende Idee, einfach zu versuchen, dem Riesen den Ball durch die weit auseinandergestellten Beine zu schießen und dann, ehe der sich umdrehen konnte, außen an ihm vorbeizulaufen. Gedacht, getan! Doch was Kappe als Vorlage für sich selber gedacht hatte, geriet zu einem Schüsschen aufs Tor. Er fluchte schon über die vergebene Chance und drehte ab, denn der Goalkeeper des Gegners hatte bislang sehr gut gehalten, da sah er, wie seine Mannschaftskameraden die Arme hochrissen.
«Tooor! Tooor!» Was Zufall war, einfach ein Glückstreffer, wurde ihm als technische Meisterleistung zugerechnet, und als seine Mannschaft schließlich 1: 0 gegen Helgoland 97 gewonnen hatte, war er der Held des Tages.
Alle umarmten ihn stürmisch, nur Ludwig Latzke nicht, der alte Freund aus den Tagen in Storkow und am Scharmützelsee. Kappe dachte oft darüber danach, warum sich Latzke so verändert hatte, fand aber keine Antwort. Fragte er ihn, bekam er Antworten wie: «Nichts. Was soll schon sein?»
Hatten sie früher zusammen bei Germania 88 gespielt, so kickten sie nun bei Viktoria 89. Älter noch als diese beiden Vereine war der BFC Frankfurt, 1885 vom sportbegeisterten Bildhauer und Maler Georg Leux gegründet. Man war echt berlinisch, kickte auf dem Tempelhofer Feld und hatte den Namen nur vom Geburtsort seines Gründers.
Richtig aufblühen konnte der Fußballsport erst, als die Garnisonskommandanten das Spielen auf den Exerzierplätzen genehmigt hatten, und davon gab es im preußischen Berlin viele. 1892 wurden Hertha und Union gegründet, und Union 92 gelang es 1905 sogar, mit einem 2 : 0-Sieg über den Karlsruher FV Deutscher Meister zu werden. 1908 tat es Viktoria den Unionern gleich und konnte mit einem 3 : 1 über die Stuttgarter Kickers seine erste Deutsche Meisterschaft feiern. 1907 und 1909 kam man ebenfalls ins Endspiel, verlor aber gegen den Freiburger FC beziehungsweise gegen Phönix Karlsruhe.
Viel Kurioses erzählten sich die Fußballer. Zum Beispiel über Helgoland 97. Als die Insel, bis 1890 britisch, im Tausch gegen Sansibar wieder deutsch geworden war, gründeten sich im patriotischen Überschwang in Berlin gleich zwei Vereine, ohne voneinander zu wissen: Helgoland 97 und Helgoland 98. Als sie von ihrem Pendant erfuhren, beschlossen sie ein Schicksalsspiel: Der Unterlegene sollte sich auflösen. Nach zwei Unentschieden siegte schließlich 97, und 98 hielt sein Wort und verschwand von der sportlichen Bühne. Um die Jahrhundertwende trug man während des Spiels noch Mützen und hatte sich, um den
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