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Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)

Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)

Titel: Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky
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und erklärte ihm, dass hier die Unruhen ihren Ausgang genommen hätten. Von Vielitz fand es unfassbar, denn heute am Sonntag war die Sickingenstraße ein Ort des Friedens und der besinnlichen Einkehr. Sogar einen Hauch von Poesie verspürte er, es schien ihm die Welt Heinrich Seidels zu sein, dessen Leberecht Hühnchen er liebte. Auch die Arbeiterklasse schien einen Hang zum Biedermeierlichen zu haben, wenn man ihr denn nur die materiellen Ressourcen zur Verfügung stellte, die zu einem solchen Lebensstil unabdingbar waren.
    Kappe schilderte ihm in anschaulicher Weise, wie hier allmorgendlich die Kohlenwagen gestartet waren, von so vielen schwerbewaffneten Schutzleuten beschützt, als hätten Goldbarren statt Briketts auf den Ladeflächen gelegen. «Hier direkt vor der Ausfahrt ist es aber auch gewesen, wo Weißagk zum zweiten Mal auf mich geschossen hat.»
    «Manchmal ist der Unterschied zwischen dem alltäglichen Leben und dem Krieg gar nicht einmal so groß», sagte Vielitz. «Insbesondere wenn man Kriminaler ist. Aber des Menschen Wille ist seine Hölle.»
    «Sein Himmelreich», verbesserte ihn Kappe.
    Vielitz schmunzelte. «Oh Pardon, welch ein Versprecher!»
    Sie kamen zur Ecke Sickingen- und Berlichingenstraße, und Kappe erklärte, dass ihm hier ein Blumentopf um ein Haar den Schädel zerschmettert hätte. «Die Narbe am Hals ist noch ziemlich frisch.»
    «Blumentöpfe als Geschosse. ..» Von Vielitz erinnerte sich an die versuchte Revolution von 1848. «Da bin ich zwar erst zehn Jahre alt gewesen, kann mich aber noch genau an die Barrikaden erinnern. Theodor Fontane war auch am Rande in die Kämpfe verwickelt und wäre beinahe von Soldaten, die sein Versteck gestürmt hatten, erschossen worden. Daher rührt sein berühmter Ausspruch: ‹Man weiß nie, wie die Kugeln fliegen.›»
    Kappe war nachdenklich geworden. «Manchmal frage ich mich, warum es hier in Moabit eigentlich keine Barrikaden gegeben hat.»
    Von Vielitz lachte. «Weil die Exzedenten hier so ungebildet sind und nie etwas von der ’48er Revolution gehört haben.»
    «Vielleicht aber von den Märzgefallenen», fügte Kappe hinzu.
    «Da magst du recht haben. Nun haben wir jedenfalls keine Septembergefallenen, und der Kaiser braucht seinen Helm nicht vor den aufgebahrten Leichen abzunehmen.»
    «Manche finden das sicherlich schade. Aber zu etwas anderem. ..» Kappe zeigte auf das Laubengelände hinüber. «Da steht das Häuschen von Flüster-Fritze, in dem sich Weißagk zuletzt versteckt hat. Jetzt sitzt Schwina im Gefängnis ein paar Zellen neben seinem Kumpan, obwohl Weißagk doch ein ganz anderes Kaliber ist und das Zehnfache seiner Strafe erhalten wird. Die beiden hatten sich ihre gemeinsame Zukunft ein wenig anders vorgestellt. ..»
    Vielitz lächelte und griff noch einmal auf Fontane zurück:
    «Wie viel hat das Leben, aber für wie wenige nur!»
    Kappe lenkte ihre Schritte nun in Richtung Wiclefstraße.
    «Dann wollen wir langsam zum Höhepunkt unseres kleinen Rundganges kommen, zur Besichtigung des Kohlenplatzes mit der verkohlten Leiche. In hundert Jahren wird da eine Gedenktafel angebracht sein: Hier erschoss am 24. September 1910 der Streikführer Gustav Dlugy den Streikbrecher Paul Tilkowski.»
    «.. . und der Kriminaler Hermann Kappe war es, der diesen Mord aufklärte.»
    «Ja, mein erster Fall», sagte Kappe versonnen.
    «Das erste Mal ist immer etwas Mystisches», fügte von Vielitz hinzu. Dann blieb er stehen. «Sag mal, was weißt du eigentlich alles über diesen Kockanz, diesen Kohlenhändler?»
    «Nicht viel», antwortete Kappe und konnte sich, obwohl das eigentlich sehr unhöflich war, die Nachfrage nicht verkneifen, woher das Interesse des Majors an Gottfried Kockanz rühre.
    «Na, du bist komisch: Dieser Weißagk war Diener bei ihm. Wieso hat Kockanz nicht gemerkt, was für ein Lump das ist?»
    Kappe zuckte mit den Schultern. «Weißagk soll vollendete Umgangsformen gehabt haben. Wie alle Hochstapler. Und so etwas war er ja auch.»
    Als sie in die Nähe des Kockanzschen Kohlenplatzes gekommen waren, wurden sie durch das mit schrillen Tönen ausgetragene Streitgespräch zweier Frauen gefesselt. Sie warfen sich die übelsten Schimpfworte an den Kopf.
    «Da könnte man direkt darauf wetten, wer das größere Reservoir hat», sagte von Vielitz. «Die Bildhübsche oder die Potthässliche.»
    «Das ist so ein Gekeife, da müsste man eigentlich einschreiten - wegen öffentlicher Ruhestörung, aber. ..» Kappe stutzte.
    «Die eine

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