Es geschah in einer Regennacht
»Euros.«
»Geld... braucht doch jeder.«
»Der eine mehr, der andere
weniger. Hängt von den materiellen Ansprüchen ab. Wir kommen mit wenig aus,
weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass man sich die richtige Freude, das
tolle Lebensgefühl, mit Geld nicht kaufen kann. Glück und Fun muss man sich
selber machen. Durch das richtige Denken und die richtige Action.« Er hob die
Stimme. »Also?«
»Wie? Was?«
»Ob Sie Geld brauchen, Frau
Parth.«
Ihr Blick irrte ab zu Öme, der
sofort den Kopf senkte, inzwischen heftig schwitzte und sich nur für das
schmale Pizza-Stück auf seinem Teller zu interessieren schien.
»Äh, ja.« Sie antwortete
endlich.
»Viel Geld?«
»Ziemlich viel.«
»Aber Sie sind nicht flüssig.
Gibt es für Ihre Gemälde eine Versicherung?«
»Äh, ja.«
»Das heißt, Sie sehen jetzt
einer vermutlich sechsstelligen Entschädigung entgegen.«
»Das könnte man sagen, falls
die Bilder nicht vorher gefunden werden.«
»Wer hat gewusst, dass die
Gemälde hier im Haus hingen?«
»Oooch, eigentlich viele Leute.
Jedenfalls alle im Kunstverein.«
Tims Stimme klang beiläufig,
als er fragte: »Find wer wusste von Ihrer prekären (misslichen) finanziellen Situation?«
Sie zögerte kurz. »Oooch, eigentlich
auch alle.«
»Wirklich?«, schaltete sich
Karl ein. »Das war aber nie ein Thema im Kunstverein, Angela. Und ich habe oft
gehört, wie man über Sie und Ihre Gemälde gesprochen hat. Immer sehr nett und
fast ohne Neid. Vom finanziellen Engpass war nie die Rede. Auch ich habe nichts
davon gewusst.«
»Bitte, überlegen Sie genau«,
sagte Tim. »Wer wusste, dass Sie eine größere Geldsumme brauchen?«
Er beobachtete Angela. Sie trug
ein leichtes pfirsichfarbenes Make-up. Aber darunter war sie jetzt so bleich wie
Öme. Das Make-up erinnerte an einen sehr unreifen Pfirsich. Auf der Oberlippe
glänzten ein paar winzige Schweißtropfen. — Das verrät, dachte Tim, heftigen
Stress: Angst, die auf den Kreislauf schlägt. Angela und Öme sehen aus, als
kippen sie gleich um. Profis sind das nicht. Aber ich fress ‘nen Besen, der
drei Wochen in der Hühnerkacke stand, wenn die beiden nicht was sehr
Professionelles vorhatten.
Angelas Zungenspitze fuhr über
die Lippen. »Harald Riemer weiß es. Und du.« Sie sah Öme an. »Sonst fällt mir
niemand ein.«
Tim wandte sich an Öme. »Haben
Sie jemandem davon erzählt? Wenn ja — wem?!«
>
Öme entließ erst einen
zitternden Atemzug. »Also eigentlich niem... Na ja, dem einen oder andern. Ich
glaube... Himmel, ich kann mich nicht erinnern. Waren wohl zu viele.«
Tim musterte ihn aus
zusammengekniffenen Augen. »Herr Öme, sind Sie ein Ouatschmaul? Eine
Plaudertasche? Ein Herumtratscher, der nichts Eiligeres zu tun hat, als die
ungute Situation jener Frau, die er offensichtlich sehr verehrt, mit
irgendwelchen Leuten, an die er sich jetzt nicht mehr erinnern kann —
durchzuhecheln?«
Öme starrte zu Boden. Er
zitterte.
»Sie antworten nicht«, sagte
Tim. »Sie überlegen, welche Antwort jetzt das kleinere Übel ist. Entscheiden
Sie sich! Entweder Tratschmaul, dem man nichts anvertrauen kann, oder
zuverlässiger Alleinwisser der Situation. Das heißt, da auch Riemer informiert
ist, sind Sie beide die Alleinwisser — nennen wir’s mal so — aber nur Sie
beide.«
Stille. Dann sagte Öme: »Jetzt
erinnere ich mich. Ich habe es niemandem erzählt. Niemandem. Ob Harald über...
Angelas Problem geredet hat — das weiß ich nicht.«
Hm!, dachte Tim. Dumm ist er
nicht.
20.
Zirkuskind —und was daraus wurde
Fleurie Schuck, Dilchs Freundin
aus dem Wohnturm nebenan, konnte auf eine bewegte Vergangenheit zurückblicken.
Sie war in einem kleinen Wanderzirkus aufgewachsen, der mehr schlecht als recht
seine Leute ernährte. Ihre Mutter war als Trapezkünstlerin aufgetreten, hoch
oben in der Zirkuskuppel, die Fliegende Rosalie. In Wahrheit hatte sie
Gertrude geheißen. Einmal — zwei Wochen nach ihrem 35. Geburtstag — war sie zu
weit geflogen, jedenfalls über den Rand des Sicherheitsnetzes hinaus, das unten
gespannt war. Sie schlug hart auf den Manegenboden auf und war sofort tot.
Genickbruch.
Fleurie, damals sechs Jahre
alt, genoss fortan die zweifelhafte Erziehung ihres Vaters Albert Schuck, der
sozusagen ungelernter Schausteller war, über kein besonderes Talent verfügte
und beim Wanderzirkus als Mädchen für alles arbeitete. An der Kasse, beim
Einlass, beim Auf- und Abbau des Zeltes, beim Verkauf von Popcorn und
Süßigkeiten.
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