Es geschah in einer Regennacht
Manchmal machte er die Ansage, selten sprang er ein als
Pausenclown, häufig verstärkte er das Zirkusorchester mit seiner schrillen
Trompete. Abends war er meistens betrunken.
Fleurie entwickelte früh ein
technisches Talent und Interesse für Motorräder. Mit vierzehn wurde sie
Steilwandfahrerin, trat aber noch nicht offiziell auf, weil sich der
Jugendschutz eingemischt hätte. Sie wurde sehr gut. Mit sechzehn verließ sie
den Zirkus und sagte ihrem Vater Adieu, ohne ihn dabei zu umarmen.
Ihr neues Zuhause war ein
Schaugeschäft, das sich Die Teufelsfahrer nannte und wie in alter Zeit
von Volksfest zu Volksfest und über die Rummelplätze zog. In einem metallischen
Kessel von nur sieben Metern Durchmesser preschten Fleurie und zwei männliche
Kollegen auf ihren Maschinen an den senkrechten Wänden entlang, halsbrecherisch
bis zum oberen Rand des Kessels, wo die sensationsgeilen Zuschauer standen. Die
Fahrer preschten in waagerechter Lage, nur durch die Zentrifugalkraft (Fliehkraft) aufgrund ihres Tempos an den Wänden gehalten. Fleurie fand den Job herrlich.
Aber sie entdeckte einen noch
besseren. Als Stuntfrau beim Film. In gefährlichen Action-Szenen doubelte sie
die Heldin — manchmal auch den Helden, wenn der Kopf unterm Helm verborgen
blieb. Fleurie war ein perfektes Motorrad-Double, aber auch gut für
akrobatische Artistik, ein von ihrer Mutter geerbtes Talent. Nach sechs Jahren
passierte der Arbeitsunfall. Sie verletzte sich an der Wirbelsäule und konnte —
angeblich — ihren Beruf nicht mehr ausüben. Es reichte für eine Invalidenrente,
obwohl Fleurie schon bald wieder fit war wie eh und je. Sie arbeitete dann in
verschiedenen Jobs, hatte wechselnde Männerbekanntschaften und lernte Markus
Dilch kennen, in den sie sich wild verknallte.
Als sie ihm offenbarte, dass
sie auch ein wenig mit Drogen dealte, selbst aber clean war, zog er sie ins
Vertrauen, bediente sich ihrer Geschicklichkeit und spannte sie ein beim
Diebstahl bedeutender Gemälde, für die er dann Lösegeld forderte und meistens
auch erhielt. Sechs große Coups hatten sie durchgezogen, zusammen mit Zackler.
Nur noch zweimal wollten sie zuschlagen. Dann reichte es für den Ruhestand in
Saus und Braus.
Jetzt befand sie sich samt
ihrer Harley an der Einmündung jenes Weges, der Angela Parths Grundstück von
dem des Nachbarn trennt. Es war der Weg, von dem aus Burkhard Öme letzte Nacht
seinen Raubzug begonnen hatte.
Dichte Hecke zu beiden Seiten.
Fleurie hatte ihren Feuerstuhl ausgeschaltet. Die Maschine stand auf der
Raststütze. Zusätzlich stemmte die Frau einen Fuß auf den Boden.
Aus sicherer Entfernung hatte
sie beobachtet, wie die vier Kids in dem Haus verschwanden. Nur die Bikes
lehnten, sorgsam aneinander gekettet, am Gartenzaun neben der Einfahrt.
In diesem Augenblick klingelte
Fleuries Handy unter dem ledernen Wams.
21. Mächtig
eingeheizt
Nein, dumm ist er wirklich
nicht, dachte Tim. Indem er offen lässt, dass Riemer geredet haben könnte,
erweitert er den Kreis möglicher Täter.
Tim nickte. »Von der Polizei
wissen wir, dass sich Riemers Zustand nicht gebessert hat. Nicht
vernehmungsfähig. Niemand weiß, wann eine Befragung möglich ist. Zurzeit wird
nur das Stemmeisen untersucht. Auf Fingerabdrücke und darauf, in welchem
Heimwerkermarkt es gekauft wurde.«
Niemand sagte was. In der Küche
herrschte Stille, abgesehen von einem Knistergeräusch in der Mikrowelle. Dann
griff Klößchen nach dem letzten Pizzastück und biss knirschend hinein.
Tim überlegte kurz, nickte
leicht, als sei er einverstanden mit seinen Gedanken, und wandte sich an seine
Freunde.
»Auf die Hufe, Amigos! Jetzt
werden wir die Freizeit auskosten. Schließlich ist heute der erste Tag vom
Wochenende. Wie wäre es mit dem Hallenbad. Okay?«
Gaby sah ihn an, verwundert
über diesen plötzlichen Ausbruch von Pflichtvergessenheit, entnahm aber sofort
seiner Miene, dass er was ganz anderes im Schilde führte.
Kurzer Abschied. Öme atmete
auf, als wäre er nur knapp einem Unheil entronnen. Angela betupfte sich die
Oberlippe und wirkte verwirrt. Sie begleitete TKKG zur Tür, vielleicht um ganz
sicher zu sein, dass sie das Haus verließen.
Als sich die Tür hinter ihnen
schloss, blieb Tim stehen. Aus seiner Position konnte er nur einen kleinen
Ausschnitt der Straße überblicken. Niemand war zu sehen. Keine Spur von dem
Motorradfahrer.
»Zweierlei, Leute«, sagte er
leise. »Wir werden gleich zu Ömes Adresse brettern — die ja rauszukriegen
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