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Es gibt kein nächstes Mal

Es gibt kein nächstes Mal

Titel: Es gibt kein nächstes Mal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imogen Parker
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langen Kriegswinters hatte
Stella, wenn sie in dem Zimmer über dem Laden hockten, immer wieder versucht, aus
ihr herauszuholen, was sie sich eigentlich wünschte.
    Stella hatte schon immer ehrgeizigere Träume
gehabt als Shirley. Shirleys Phantasie war nie darüber hinausgegangen, sich ein
Fahrrad zu wünschen, doch Stella hatte sich einen Wagen mit einem Chauffeur
gewünscht.
    »Ich will vom Rücksitz aus winken wie die
kleinen Prinzessinnen«, sagte sie, nachdem sie in den Nachrichten einen Besuch
der Königlichen Familie im East End gesehen hatte.
    Shirley hatte sich in ein hellblaues Samtkleid
verliebt, das sie im Kaufhaus gesehen hatte; Stella hatte sich nach begehbaren
Kleiderschränken verzehrt, in denen unendlich viele Kleider hingen, die in den
Schultern mit Seidenpapier ausgestopft waren, nach Lederschuhen und passenden
Handtaschen in weichen Baumwollschonern.
    Shirley döste und ließ die Bilder ungestört
durch ihren Kopf huschen.
    Stella hatte es zu einem echten Traumhaus
gebracht, um dessen Tür herum Rosen wuchsen. Sie hatte einen reichen Mann
geheiratet. Wenn sie zu Hause Reispudding und Pflaumen gegessen hatten, hatte
Stella die Kerne auf ihrem Teller gezählt. Kaiser, König, Edelmann, Bauer,
Bürger, Bettelmann. Manchmal hatte Shirley den Verdacht gehabt, daß Stella die
Früchte bereits zählte, wenn sie sie auf ihren Teller lud, doch sie war nie auf
den Gedanken gekommen, ihrer Schwester den Reichtum und die Freiheiten, die sie
sich herausnahm, zu mißgönnen. Stella war schon immer etwas Besonderes gewesen.
    Shirley hatte Whitton House nach der Hochzeit
ein paarmal besucht. Es war wirklich zauberhaft. Nach Gemmas Geburt war sie für
eine Woche hingefahren, um dort auszuhelfen, doch sie wußte, obwohl Stella es
nie erwähnt hatte, daß ihre Schwester sich nie wirklich wohl fühlte, wenn sie
da war.
    Stella lebte mit ihrem hochgestochenen Akzent
und ihrem manierierten Benehmen in einer anderen Welt. Dort liefen die Dinge
anders, Kleinigkeiten, zum Beispiel, wie man den Tisch richtig deckte. Dieses
scharfe Atemholen, wenn Shirley vergaß, wie man es richtig machte, gefolgt von
einer flinken Geste, mit der Stella Messer und Löffel neu anordnete, sprach
lauter als jedes kritische Wort.
    Shirley war sich überdeutlich darüber bewußt,
daß sie nicht den richtigen Gesprächsstoff für die Freunde fand, die ständig
dort vorbeischauten — Kollegen von Bertie und die elegante Schar, die sich Stella
in dem Toprestaurant zu Stammgästen herangezüchtet hatte, in dem sie
Geschäftsführerin war, Künstler, Schriftsteller und Bohemiens, die dennoch
haufenweise Geld zu haben schienen. Sie kauften ihre Kleidung in der King’s
Road und redeten ständig über die Abschaffung von Atomwaffen. Es entging ihr
keineswegs, daß Stella sie niemals als ihre Schwester vorstellte. Als sie
einmal versehentlich den Fischladen erwähnte, sah sie, daß Stella vor
Verlegenheit zusammenzuckte. Sie verstand nie, warum sie den Leuten soviel
vormachen mußte, insbesondere, da sie alle soviel über eine Labourregie-rung
und das Ende des Klassensystems redeten. Aber so war sie eben.
    Shirley kehrte an die Küste zurück und wählte
wie üblich die Konservativen, und es freute sie, daß ihre Schwester endlich ihr
Glück gefunden zu haben schien. Gelegentlich rief Stella an, spätnachts, und
redete mit ihr. Manchmal, wenn sie die Augen schloß und eine Hand um den Hörer
hielt, war es fast so wie in alten Zeiten, als sie noch ein gemeinsames Schlafzimmer
geteilt und nächtelang im Dunkeln miteinander getuschelt hatten. Als Stella
begann, ihre Tochter jedes Jahr herzuschicken, konnte sich Shirley ein Bild von
dem Leben in Whitton House machen. Gemma wurde zum ahnungslosen Übermittler von
Nachrichten, zum unschuldigen Boten zwischen den beiden Welten.
    Das laute Surren der Klingel weckte Shirley. Sie
setzte sich langsam auf, sammelte sich und ging an die Tür, um ihre Nichte zu
begrüßen, ihre Lieblingsnichte.
     
    »Was ich nicht verstehe«, sagte Gemma und nahm
noch ein Plätzchen aus der Dose, »ist, warum du beschlossen hast, es sei jetzt
an der Zeit, daß wir all das über unsere Mutter erfahren.«
    Bis dahin waren die Fragen einfach gewesen. Manches
kam als eine Überraschung, zum Beispiel Gemmas Interesse an Vincenzo, dem
zuvorkommenden italienischen Restaurantbesitzer, der Estella bei Lyons hinter
dem Tresen entdeckt und sie zur Kellnerin und später schließlich zur Geschäftsführerin
eines eleganten Londoner

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