Es gibt kein nächstes Mal
schwierig
genug sein, Shirley dazu zu bringen, daß sie über all das redet. Möglicherweise
wäre sie noch nervöser, wenn ein Fremder dabei ist... ich meine damit nicht...«
»Du brauchst es mir nicht zu erklären«, sagte er
freundlich. »Ich weiß nicht, was andere Männer dir angetan haben, Gemma, aber
du brauchst dich mir gegenüber nicht ständig zu verteidigen... Ich verstehe,
warum du mich nicht dabeihaben willst, und ich fühle mich nicht verletzt... okay?«
»Ja«, sagte sie erleichtert.
»Komm her«, sagte er und schlug die Decke
zurück, damit sie ins Bett steigen konnte. Sie kuschelte sich an seine Brust.
Er roch gut nach Seife.
»Wie kommt es, daß du dir immer die Haare
wäschst, wenn du nervös bist?« fragte er und strich ihr feuchte Strähnen aus
der Stirn.
»Tue ich das?«
»Ja.«
»Vielleicht liegt es daran, daß Estella
Dosenobst über mich geschüttet hat, wenn sie sauer auf mich war.«
»Was, sagst du, hat sie getan?«
»Nun, ja, ich habe gebrannt...«, sagte Gemma.
Ralph lachte schallend. »Sie muß wirklich ein
Original gewesen sein, stimmt’s?«
»Ja.« Gemma spürte, wie die Tränen wieder in
ihre Augen aufstiegen. Sie begann zu schluchzen.
»Aber, aber«, sagte Ralph und streichelte ihren
Arm.
Sie faßte das als ein Signal dafür auf, daß er
mit ihr schlafen wollte. Sie fing an, ihn ebenfalls zu streicheln und die Nase
hochzuziehen. Sie war ihm dankbar dafür, daß er so nett zu ihr war.
»He!« sagte er, als sie seinen Oberschenkel
berührte. Er schob sie sachte von sich. »Verstehst du, das muß nicht sein. Wenn
ich dich berühre, dann heißt das nicht zwangsläufig, daß ich dich vögeln
will...«
»Du willst es nicht?« Sie sah ihn an.
»Doch, natürlich will ich es, aber nicht, wenn
du erschöpft bist. Du hast einen harten Tag hinter dir, Gemma.«
Sie entspannte sich in seinen Armen. Es war
bezaubernd, von ihm zärtlich festgehalten und verhätschelt zu werden.
»Es wird ein langer Prozeß werden«, sagte Ralph
zu ihr.
»Wovon sprichst du?« fragte sie schläfrig.
»Dich dazu zu bringen, daß du mir vertraust.«
Sie lächelte, und er drückte ihr einen Kuß auf
die Nase. »Vertraust du mir?« fragte sie ihn, doch sie war schon eingeschlafen,
als er antwortete: »Ja, selbstverständlich.«
30
»Ich habe endlich jemanden gefunden, der eine
ehrbare Frau aus mir machen will, Shirl.«
Der Akzent der Südküste war fast vollständig
verschwunden, doch die Umarmung war so herzlich und liebevoll wie eh und je.
Estella hielt sie so lange fest, bis es Shirley allmählich peinlich wurde und
sie sie behutsam von sich schob.
Estella hatte sie am Ende des Bahnsteigs
erwartet. Als sie sie dort stehen sah, sagte sich Shirley, wie nett es doch von
ihr war, daß sie sich am Morgen ihrer Hochzeit, an dem sie gewiß Besseres zu
tun gehabt hätte, die Zeit nahm, sie am Bahnhof abzuholen. Nachdem sie die
meisten Kriegsjahre dort verbracht hatte, war es ja nicht so, daß sie sich
andernfalls in London verirrt hätte.
Später, auf der Heimfahrt im Zug, als sie sich
an den Ausdruck unverhohlener Erleichterung erinnerte, der bei ihrem Anblick
über das Gesicht ihrer Schwester gehuscht war, begriff sie, daß Estella
gekommen war, um ihre Aufmachung zu kontrollieren. Diese Vorstellung entlockte
ihr ein Lächeln. Stell hatte sie abgefangen! Die entspannte Stunde, die sie bei
starkem, frisch aufgebrühtem Kaffee in einem Café miteinander verbracht hatten,
hätte ebensogut für die rasende Suche nach passender Kleidung draufgehen
können, wenn Shirley nicht das Richtige getragen hätte.
Es freute sie, daß das einfache dunkelgrüne Kleid
mit der passenden Jacke und dem schwarz und grün gemusterten Paisley-schal aus
Seide, Dinge, die sie eigens für diesen Anlaß erstanden hatte, den strengen
Maßstäben ihrer Schwester gerecht wurden. Sie hatte die Farben in dem
Bewußtsein gewählt, daß Stell sie gutheißen würde. Das Kleid hatte auf dem
gepolsterten Bügel an der Tür ihres Kleiderschranks gehangen, bis Ken gesagt
hatte: »Warum mußtest du bloß dieses triste alte Ding kaufen? Schließlich
willst du damit zu einer Hochzeit gehen und nicht zu einer Beerdigung.«
Er konnte es einfach nicht begreifen. Wenn es
nach ihm gegangen wäre, hätte sie die Fünfer, die Stell der Einladung beigelegt
hatte, mit der Bemerkung zurückgeschickt, sie könnte sich ihre verdammte
Einladung zur Hochzeit in die Haare schmieren. Aber Shirley hatte ihren
Entschluß glühend
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