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Es gibt kein nächstes Mal

Es gibt kein nächstes Mal

Titel: Es gibt kein nächstes Mal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imogen Parker
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wenige Zeit, die ihnen noch blieb.
    »Bitte, komm mit mir...«, hatte er sie noch
einmal gebeten.
    Er mußte gewußt haben, daß sie es nicht tun
würde. Daher fragte sie sich, ob er es nur gesagt hatte, weil es sich nett
anhörte, wie sie, als sie zum Höhepunkt gelangt war, zu ihm gesagt hatte: »Ich
liebe dich.« Oder war es sein Ernst? Woher konnte er überhaupt wissen, ob er es
ernst meinte? Und woher konnte sie wissen, ob es ihr ernst war? Woher wußte
man, ob Liebe auf den ersten Blick tatsächlich Liebe war? Wußte man es erst
Jahre später, wenn man dann immer noch zusammen war? Selbst dann, dachte sie
kläglich, konnte die Liebe schlichtweg zu einer Gewohnheit werden, die man nur
unter Schmerzen abschütteln konnte.
    Daisy runzelte die Stirn. Wenn L. A. doch bloß
nicht ganz so weit weg gewesen wäre.
    Sie war noch nie in den Staaten gewesen. Oliver
hatte einmal vorgeschlagen, sie sollten in einem Buick von der Ostküste aus in
den Westen fahren, doch irgendwie war es nie dazu gekommen, und mit weniger
wollte er sich nicht begnügen. Daisy hatte schon immer mit dem Gedanken
geliebäugelt, Karneval in New Orleans zu verbringen, doch jedes Jahr, wenn der
Fastnachtsdienstag kam und Oliver Pfannkuchen buk, wurde ihr klar, daß sie
wieder einmal vergessen hatten, den Flug zu buchen. New York war wegen Gemma
ein Tabu gewesen. Florida hatte sie noch nie ins Auge gefaßt, wenn sie in
letzter Minute etwas buchten, um ein Weilchen Sonne zu tanken, denn sie malte
sich aus, daß es dort von Alligatoren und Tattergreisen wimmelte. An eine Reise
nach Kalifornien hatte sie bisher nie auch nur gedacht.
    Was würde sie dort tun? fragte sie sich. Nein,
es war einfach lachhaft, auch nur noch einen weiteren Gedanken daran zu
verschwenden.
    In Los Angeles bog man nicht einfach mitten in der
Stadt um eine Ecke und fand sich in einer ländlich anmutenden Gegend wieder.
Daisy sah sich das Panorama an. London lag zu ihren Füßen. Es schien in der
Hitze zu flimmern wie eine Fata Morgana.
    In Los Angeles gab es die Filmindustrie, aber in
London gab es Kunst, Revuen, Konzerte, Theaterstücke. Daisy versuchte, sich zu
erinnern, wann sie das letzte Mal im Theater gewesen war. Die Lektüre der
Briefe ihrer Mutter und die Erinnerung daran, wie sehr Estella ihre Ausflüge in
die Stadt auskostete, hatten in Daisy ein gewisses Schuldbewußtsein
wachgerufen, weil es in ihrem Leben an Kultur mangelte. Sie sagte sich, sie
müsse das Angebot der Stadt besser nutzen.
    Was hätte Estella von Cal gehalten? fragte sie
sich plötzlich. Sie konnte die Kritik ihrer Mutter regelrecht hören. »Was
willst du denn mit diesem grünen Jüngling?«
    »Weil du immer eine Schwäche für ältere Männer
gehabt hast, heißt das noch lange nicht, daß ich mich auch dafür begeistern
muß«, hielt Daisy ihr innerlich vor und war schockiert über das Maß an
Ablehnung, das sie Estella plötzlich entgegenbrachte.
    Die Briefe hatten ihr den Eindruck vermittelt,
sie sei betrogen worden. Ihre Mutter hatte sie alle belogen. Sie hatte
vorgegeben, eine sehr enge Beziehung zu ihrer jüngeren Tochter zu haben, doch
in Wirklichkeit war das nichts anderes als der Versuch gewesen, durch sie ihr
eigenes Leben noch einmal zu leben. Die Briefe hatten Daisys Erinnerungen an
ihre Jugend grundlegend verändert: All die geflüsterten Gedanken, die sie
Estella auf deren Betreiben hin anvertraut hatte, all die Geschenke und die
Urlaube, mit denen sie verwöhnt worden war, waren nichts weiter als
Bestrebungen von Estella gewesen, ihre eigenen Entbehrungen und Fehler
wettzumachen. Als Daisy beiläufig den Wunsch geäußert hatte, sich ihrer Jungfräulichkeit
zu entledigen, hätten die meisten Mütter Warnungen und Drohungen ausgestoßen.
Estella hatte in dem Büro für Familienplanung einen Termin für sie ausgemacht
und ihr einen reifen und kultivierten Liebhaber beschafft, einen erfahrenen
Mann. Damals war sich Daisy als etwas ganz Besonderes vorgekommen. Jetzt fühlte
sie sich manipuliert.
    Daisy starrte die Aussicht an und unterdrückte
das Verlangen zu weinen. Sie wäre gern aufgestanden und hätte mit den Füßen
aufgestampft und laut geschrien. Warum hatte ihr Gemma diese verdammten Briefe
zeigen müssen? Warum waren alle um sie herum derart wild entschlossen, ihre
Welt auf den Kopf zu stellen?
    Und wohin hatte sich Gemma abgesetzt? Daisy
hatte sie in der Arbeit angerufen, doch dort hatte man ihr gesagt, sie sei
nicht da. Daher hatte sie bei ihr zu Hause angerufen und den

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