Es gibt kein nächstes Mal
versichert,
»komm einfach dann, wenn es dir paßt.«
Er hatte sie nicht gefragt, mit wem sie sich
traf. Wenn er sie danach gefragt hätte, hätte sie es ihm gesagt. Es war ja
schließlich nicht etwa so, als handelte es sich dabei um ein Geheimnis.
Sie hatte mehrfach versucht, Oliver anzurufen,
um die Verabredung abzusagen, doch als sie endlich zu der ständig besetzten
Zentrale durchgedrungen war, hatte er das Büro bereits verlassen. Vermutlich
hätte sie ihn versetzen können, sagte sie sich, als sie durch die Charing Cross
Road lief, doch das erschien ihr eine unnötige Grobheit zu sein. Schließlich,
sagte sie sich, hatte er nie etwas getan, um sie bewußt zu verletzen. Oder
jedenfalls nicht in der letzten Zeit.
Sie war zu früh dran. Gemma trödelte vor einem
Buchladen herum und tat so, als schaute sie hinter ihrem Spiegelbild die
Schaufensterauslage mit der Sommerlektüre an. Sie trug ein schlichtes rotes
Leinenkleid unter einer kurzärmeligen schwarzen Leinenjacke. Sie versuchte,
sich daran zu erinnern, was sie getragen hatte, als sie ihn das letzte Mal
gesehen hatte. Wenn sie an ihn dachte, sah sie ihn gewöhnlich vor sich, wie er
sich in der Boulter Street im Vorderzimmer rumlümmelte. Er ließ sich nicht mit
ihren Erinnerungen an Whitton House vereinbaren, doch dort hatte sie ihn
tatsächlich zum letzten Mal gesehen. Damals mußte sie Schwarz getragen haben.
Nach Berties Tod hatte sie monatelang nichts anderes als schwarze Jeans und
T-Shirts getragen.
Boy hatte sie dazu gebracht, wieder Farben zu
tragen. Eines Sonntags nach dem Brunch hatten sie in SoHo einen
Schaufensterbummel unternommen. »Sämtliche Farben von Kenzo, aber zum halben
Preis«, hatte er gutunterrichtet bemerkt, als sie vor der grellrosafarbenen
Boutique von Betsy Johnson stehengeblieben waren. Die Drahtpuppe im Fenster
trug ein elastisches Kleid aus Baumwolljersey, das mit überdimensionalen rosa
Rosen bedruckt war.
»Darin würdest du gut aussehen«, sagte er und deutete
darauf.
»Das sieht doch aus wie Gardinenstoff«,
protestierte Gemma.
»Besser als dein Trauerflor«, erwiderte er.
»Probier es an, und wenn es dir gefällt, kaufe ich es dir.«
Es gefiel ihr. Als sie vor dem Spiegel hinten im
Laden eine Pirouette drehte, breitete sich der Rock kreisförmig aus. Es war ein
Kleid, das sie für sich selbst nie ausgesucht hätte. Sie kam sich ganz fremd
darin vor, geradezu maskiert.
Anschließend nahm sie Boy immer mit, wenn sie
Kleider kaufen wollte. Er hatte die Aufgabe, sie in modischen Dingen zu
belehren, sehr ernst genommen, und sowie Gemma erst einmal Geschmack an
Designerkleidung und Designerschuhen gefunden hatte, wurde sie zu einer
eifrigen Schülerin.
»Als ich dich kennengelernt habe, hattest du
kleidungsmäßig etwas von einer Eliza Doolittle an dir«, hatte er einmal bemerkt
und dabei einen Akzent gesprochen, den er für Cockney hielt, »aber inzwischen
scheine ich eine Imelda Marcos kreiert zu haben.«
Gemma strich ihr Kleid über ihren Schenkeln glatt
und wünschte, jemand würde Leinen erfinden, das nicht knitterte, und dann fiel
ihr auf, daß ihre hauchdünne schwarze Strumpfhose direkt über dem Saum des
Kleids eine Laufmasche hatte. Ihr blieb nicht mehr genug Zeit, um noch nach
Covent Garden zu laufen und eine neue Strumpfhose zu kaufen. Die Kleidung, in
der sie heute morgen noch so elegant und frisch gewirkt hatte, wirkte jetzt
plötzlich schlapp und schäbig.
Im Vorraum der Damentoilette des Savoy rieb sie
die Stelle, an der sich die Laufmasche gebildet hatte, mit einem Stück Seife
ein, um den Schaden möglichst gering zu halten. Das hatten sie früher in der
Schule getan. Man nahm entweder Seife oder Nagellack, fiel ihr jetzt wieder
ein. Man wußte immer, wessen Strumpfhose eine Laufmasche hatte, da der Geruch
unverkennbar war. Wenn sie sich vorsichtig hinsetzte, sagte sie sich, würde er
die Laufmasche nicht bemerken. Sie trug einen Lippenstift auf, der exakt
denselben Farbton wie ihr Kleid hatte. Dann grinste sie automatisch ihr
Spiegelbild an und entblößte die Zähne, um zu überprüfen, ob sie auch keine
roten Flecken aufwiesen. Das mußte genügen.
Es war einfach lächerlich, daß sie so eitel war,
ihren Seelenfrieden von einem kleinen Makel in ihrem Äußeren erschüttern zu
lassen, sagte sie sich, als sie die Stufen zur American Bar hinauflief und sich
dabei bemühte, regelmäßig zu atmen. Sie warf noch einen letzten prüfenden Blick
auf die verspiegelte Wand, ehe sie auf die Bar zuging.
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