Es gibt kein nächstes Mal
sie hatte versucht, keine Miene zu verziehen und
den Eindruck zu erwecken, als hätte sie tatsächlich Kopfschmerzen. Ralph war
nicht dumm. Wie hatte sie das bloß tun können? Sie bemühte sich, die Bilder
abzublocken, doch sie wollten sich nicht vertreiben lassen.
Die Ironie dieser ganzen Geschichte war schon
fast lachhaft. Sie hatte sich nicht nur bohrende Kopfschmerzen eingehandelt,
sondern sie hatte sich außerdem auch noch entschieden, die beste Beziehung, die
sie je gehabt hatte, gegen eine Nacht mit der großen Liebe ihres Lebens
einzutauschen. Doch anstelle einer unbeschreiblichen Liebesnacht war sie
lediglich aufs Kreuz gelegt worden, und selbst das nicht besonders geschickt.
Noch trauriger war jedoch die Erkenntnis, daß es
damals schon genauso gewesen war. Zehn Jahre lang hatte sie dieser ersten
sexuellen Begegnung in der Küche der Boulter Street den Status einer Ikone
verliehen. Vielleicht war 9 ½ Wochen an allem schuld, sagte sie sich
zynisch. Sie hatte den Film kurz darauf gesehen und ihre unbequeme Position auf
dem Abtropfbrett irrtümlich für äußerst erotisch gehalten und eine vorzeitige
Ejakulation mit sexueller Ekstase verwechselt.
Aber es kam etwas noch viel Schlimmeres dazu.
Gemma versuchte sich einzureden, der Alkohol hätte bewirkt, daß sie sich
einiges eingebildet hatte, und ihre Schuldgefühle hätten sich in ihren Träumen
in irgendeiner Form verworren dargestellt, doch sie konnte das Haus nicht
verlassen, ohne sich vorher abzusichern.
Oliver lag quer auf dem breiten Doppelbett aus
Kiefernholz. Er hatte immer noch seine Socken an. Im kalten grauen Licht der
Morgendämmerung wirkte er beträchtlich gealtert und hatte einen kleinen Wanst.
Sie sah ihn an und ekelte sich vor sich selbst. Der Mann, den sie angebetet
hatte, diese Verkörperung des Geheimnisvollen, lag da und schnarchte laut.
Gemma ging zaghaft auf das Bett zu. Seine Arme
steckten noch in den Hemdsärmeln, doch seine Brust war entblößt, genauso, wie
sie ihn zurückgelassen hatte. Er zog die Nase hoch und rückte ein Stück von ihr
ab, als ahnte er, daß sie ihn betrachtete, doch er wachte nicht auf. Sie trat
noch etwas näher und hielt sich die Hände vor die Augen. Sie lugte zwischen
ihren Fingern hindurch und preßte sich die Hände dann fest auf die Lider.
Nein, sagte sie sich, es kann nicht sein.
Sie ließ die Hände sinken, holte tief Luft und
sah dann noch einmal ganz genau hin.
Es war nicht ihre Einbildung. Direkt unter dem
linken Brustbein hatte Oliver ein purpurnes sichelförmiges Muttermal.
»O mein Gott«, flüsterte Gemma und warf den Kopf
zurück, »was haben wir bloß getan?«
33
Juni 1953
Liebe Shirl,
es ist einfach wunderbar, ein Baby zu haben. Ich
meine nicht, es tatsächlich zu bekommen, denn diese Schmerzen würde man nicht
einmal seinem ärgsten Feind wünschen, sondern hinterher, wenn du den Kleinen in
den Armen hältst und an deine Brust drückst, wenn du spürst, wie er seine
kleinen Beinchen anzieht wie ein Frosch und sich an dich kuschelt. Das
uneingeschränkte Vertrauen, das er dir entgegenbringt, das ist das wunderbarste
Gefühl, das man sich denken kann.
Ich wußte, daß sich mein Leben dadurch verändern
würde, aber ich wußte nicht, wie sehr. Ich hatte angenommen, es käme einfach
nur noch etwas zu den Dingen hinzu, mit denen man weiterleben muß. Womit ich
nicht gerechnet habe, das ist dieses übermächtige Verantwortungsbewußtsein, das
man diesem winzigen Menschen gegenüber verspürt. Er ist eine eigenständige
Persönlichkeit, Shirl. Er ist nicht einfach nur zur einen Hälfte ich und zur
anderen Hälfte Laurie, nein, er ist ganz und gar er selbst. Ich habe nicht
gewußt, daß Babies Haare haben, doch er hat Haare, Unmengen von dunklen Locken,
genau wie ich. Die Krankenschwestern sagen, wahrscheinlich werden sie ihm
ausfallen, aber ich weiß ganz genau, daß es nicht dazu kommen wird. Er hat
blaue Augen. Die Krankenschwestern sagen, daß alle Babies blaue Augen haben. Wenn
er schreit, sage ich ihnen, daß er das aufbrausende Temperament seines Vaters
geerbt hat, und dann sehen sie mich mißbilligend an! Er ist ganz und gar er
selbst. Ich konnte mir mein Baby nie vorstellen, solange der Kleine noch in mir
war, und jetzt erscheint er mir so sehr als eine eigenständige Persönlichkeit,
daß ich ihn anscheinend einfach nicht mit dem Ding in Zusammenhang bringen
kann, das in meinem Bauch gewesen ist und Purzelbäume geschlagen und getreten hat.
Mitten in der Nacht
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