Es gibt kein nächstes Mal
erster Frau nur wenige Male
begegnet. Sie konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern, ob Jonathans Mutter
zu Berties Beerdigung erschienen war, aber andererseits hatte Gemma so gut wie
keine Erinnerung an jenen Tag, abgesehen von den Klagelauten, die tief aus
ihrem Innern aufgestiegen waren, als alle nach Hause gegangen waren, und den
animalischen Schmerzensschreien, die sie ausgestoßen hatte, während sie sich
auf dem Fußboden ihres Kinderzimmers herumgewälzt und ganz für sich allein um
ihren Vater getrauert hatte.
»Hat deine Mutter Bertie gehaßt, als er sie
verlassen hat?« fragte sie.
»Nun, ich nehme an, wir haben ihn beide dafür
gehaßt, doch das Komische ist, daß mir das nicht wirklich bewußt war, bis David
geboren worden ist. Erst dann war ich wirklich wütend auf ihn, möge er in
Frieden ruhen und so weiter«, fügte er eilig hinzu. »Verstehst du, wenn man
selbst Kinder hat, fällt es einem noch schwerer, diese Dinge zu verstehen. Ich
meine, man liebt dieses kleine Wesen, das man geschaffen hat, auf ganz
unbeschreibliche Weise. Es ist eine Liebe, zu der man sich nie für fähig
gehalten hat. Dann fragt man sich natürlich, wie jemand all das aufgeben konnte.«
Das seltsame war, daß er auch genau so wie
Bertie redete, sagte sie sich.
»Wie alt ist David jetzt?« fragte Gemma
behutsam.
»Er ist sieben. Sarah ist fünf.« Er zog Fotos
aus der Brieftasche, um sie ihr zu zeigen. Sie waren für ein Kostümfest verkleidet,
und ihre Gesichter waren geschminkt.
»Die Eule und das Kätzchen«, erklärte Jonathan.
»Die beiden sehen süß aus«, sagte Gemma, »unter
den Federn und den Schnurrhaaren.«
»Das sind sie auch. Natürlich nicht immer«,
fügte er mit einem Lächeln hinzu. »Ich habe sie jedes zweite Wochenende.
Vielleicht hättest du Lust, sie gelegentlich kennenzulernen?«
»Liebend gern«, sagte Gemma hocherfreut. Zum
ersten Mal seit ihrer Rückkehr fühlte sie sich wirklich zu Hause.
Verwandtschaft war eben doch etwas Besonderes. Sogar Kathy, die eine sehr gute
Freundin war, konnte an dieses Gefühl nicht heranreichen. Es gab Dinge, die
Jonathan wußte, obwohl sie wahrscheinlich nie darüber reden würden, und genau
diese Dinge hätte sie niemals jemand anderem erklären können. Jonathan verstand
sie ganz einfach deshalb, weil er Gemma schon seit ihrer Geburt kannte.
»Triffst du dich oft mit Daisy?« fragte er.
Wie typisch, dachte Gemma, daß ihr Name
ausgerechnet dann fallen mußte, wenn sie sich gerade so wohl fühlte.
»Nein«, sagte sie schlicht. »Siehst du sie oft?«
»Nein. Ich schicke ihr natürlich Schecks, aber
sie macht sich nie die Mühe, den Eingang zu bestätigen. Ich habe sie nicht mehr
gesehen, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe. Ich mochte Daisy nie
wirklich«, gestand er. »Vermutlich war der Altersunterschied zwischen uns so
gewaltig, daß es kaum Zweck hatte.«
»Aber sie ist nur vier Jahre jünger als ich«,
sagte Gemma.
»Ich weiß, aber du warst schon immer erwachsen
für dein Alter, und sie ist immer die Kleine gewesen. Wie dem auch sei,
vermutlich habe ich mir gesagt, sie hätte ohnehin genug Bewunderer...«
Gemma lachte, doch sie hatte ein merkwürdiges
Gefühl im Bauch. Einerseits liebte sie es, Kritik an ihrer Schwester, die ihr
so fremd geworden war, zu hören, doch andererseits verspürte sie immer noch
glühende Beschützertriebe. Ihr stand es zu, sich gehässig über Daisy zu äußern,
doch wenn andere Leute sich ihren Gemeinheiten anschlossen, verspürte sie trotz
allem den Drang, Daisy zu verteidigen. Sie wollte nicht über ihre Schwester
reden. Nicht nur der Schmerz war ihr unerträglich, sondern auch das Vakuum, das
entstanden war, weil sie den Trost vermißte, ein Vakuum, das niemand füllen
konnte, ganz gleich, wie groß das Bedürfnis auch sein mochte, ihr Mitgefühl
entgegenzubringen und ihr eine Stütze zu sein.
»Estella mochte ich auch nie«, fuhr Jonathan
fort, denn der Wein ließ ihn redseliger werden.
»Oh, ich glaube, das war nie zu übersehen«,
sagte Gemma, als ein Bild von ihm vor ihren Augen vorüberzog — ein schmollender
Teenager, der sich am Eßtisch in feindseliges Schweigen hüllte.
»Ich habe sie für eine Hexe gehalten, mit ihrem
langen schwarzen Haar und diesem Zeug, das sie sich um die Augen geschmiert
hat«, fuhr er fort.
»Kajal?«
»Ja, genau das meine ich. Erst, als ich angefangen
habe, mit Frauen auszugehen und intim genug mit ihnen zu werden, um zuzusehen,
wie sie sich morgens schminken, habe ich
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