Es gibt kein nächstes Mal
wartet.
Sie kaufte den ganzen Tag ein. An ihrem Ende der
Portobello Road gab es Obst- und Gemüsestände. Als sie zur Mittagessenszeit ins
Haus zurückkehrte, war sie mit Bündeln von Spargeln und frischen Kräutern
beladen, mit schweren Netzen von Wurzelgemüsen und einer braunen Papiertüte,
die mit verschiedenen Pilzen gefüllt war. Dann ging sie wieder aus dem Haus.
Weiter hinten in der langen, schmalen
Marktstraße gab es Trödel- und Antiquitätenstände, aber auch Kleiderstände, an
denen Kleider von der Art verkauft wurden, wie ihre Mutter sie getragen hatte.
Hatte es diese Sachen immer gegeben, fragte sie sich, oder kam dieses Zeug erst
jetzt wieder in Mode? Sie stellte sich vor, wie ihre Mutter auf einem ihrer
zahlreichen Ausflüge, die sie allein nach London unternahm, über den Markt lief
und weite bestickte Kittel und leuchtendbunte Kleider aus gekräuseltem
Knittermaterial mit kleinen Spiegelchen aussuchte. Die Kleider, die früher in
Whitton House an der Wäscheleine gehangen hatten, mit Knoten in den Röcken,
damit sie nicht heruntersackten, während das Indigoblau oder Koschenillerot,
mit dem sie gefärbt waren, auf den Rasen tropfte.
Sie entdeckte zwei zusammengehörige silberne
Kerzenhalter, die ihr sehr gut gefielen, und sie überredete den Händler, mit
dem Preis zehn Pfund runterzugehen.
»Ihr Amerikaner«, sagte er, »könnt das Feilschen
einfach nicht lassen.«
»Ich bin keine Amerikanerin«, sagte sie, und als
sie ihm das Geld reichte, fiel ihr auf, daß er ziemlich beschämt wirkte.
»Hier«, sagte er und nahm eine Handvoll Bienenwachskerzen,
»die gebe ich Ihnen umsonst dazu.«
Am späten Nachmittag war sie erschöpft und
hungrig. Sie rief Kathy an. »Komm zum Abendessen rüber.«
»Das täte ich ja schrecklich gern, meine Liebe,
aber um diese Uhrzeit bekomme ich keinen Babysitter mehr. Komm morgen zum
Mittagessen zu mir.«
»Aber ich möchte, daß du zu mir kommst!«
»Das tue ich doch, sobald es geht. Hast du es
hübsch?«
»Es ist das einzig Wahre«, sagte Gemma. »Wie für
mich gemacht.« Sie wollte jetzt sofort jemandem ihre Wohnung zeigen-
Sie schlug ein paar Telefonnummern nach, doch
die meisten Leute, die sie in London kannte, waren Geschäftskontakte, keine
echten Freunde. Und überhaupt, wer hätte schon so kurzfristig Zeit gehabt?
Schließlich lief es darauf hinaus, daß sie ihren Stiefbruder Jonathan anrief.
»Ich habe mich gefragt, was du wohl von einer
Treuhänderversammlung hieltest«, sagte sie am Telefon. »Ich bin wieder da. Hast
du Zeit für ein gemeinsames Abendessen?«
Im ersten Moment schien er auf der Hut zu sein und
brachte Ausflüchte vor, Mittwoch abends müßte er zum Training, doch dann
unterbrach er sich abrupt und gestand, in der vergangenen Woche hätte er einen
Marathonlauf in weniger als vier Stunden absolviert, und daher könnte er es
sich erlauben, sich eine Pause zu gönnen.
Sie war erstaunt darüber, wie konventionell und
gesetzt er am Telefon wirkte, fast so, als mißtraute er jeglicher Spontaneität,
doch dann sagte sie sich, schließlich seien zehn Jahre vergangen, seit sie
einander das letzte Mal gesehen hatten, und in der Zwischenzeit hatte sich ihr
Kontakt auf ein bis zwei Briefe pro Jahr beschränkt, in denen es meistens um
den Nachlaß ihres Vaters gegangen war, ab und zu von ein paar Sätzen
Neuigkeiten begleitet. Nur äußerst selten hatte sie ihn von ihrem Büro aus
angerufen, und dann hatten sie ein paar Minuten miteinander geplaudert, ehe sie
beschlossen, ob sie ein Angebot annahmen oder ablehnten.
Sie beobachtete, wie er durch die umgebauten
Stallungen auf ihre Haustür zukam, und augenblicklich verspürte sie eine
Mischung aus Liebe und Beschützerinstinkt in sich aufsteigen. Er hatte genau
denselben Gang wie Bertie, ihr Vater. Und er sah auch so aus, sagte sie sich.
Vielleicht lag es daran, wie sein blondes Haar geschnitten war — vorn lang, so
daß er sich immer wieder die Haare aus dem Gesicht streichen mußte, die ihm
über die Augen fielen. Es war eine Geste, die sie unglaublich an Bertie
erinnerte, und doch hatte sie diese Kleinigkeit vergessen gehabt, bis sie sie
jetzt wieder sah.
Der stechende Schmerz, den ihr dieses Bild
versetzte, schnürte ihr die Kehle zu. Manchmal geriet sie in Panik, wenn sie
das Gefühl hatte, nicht mehr vor ihren Augen heraufbeschwören zu können, wie
ihr Vater ausgesehen hatte, doch es war ein gewaltiger Trost, zu sehen, wie
seine Eigenheiten auf seinen Sohn übergegangen waren.
Sie
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