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Es gibt kein nächstes Mal

Es gibt kein nächstes Mal

Titel: Es gibt kein nächstes Mal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imogen Parker
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sie noch zur Schule gegangen war, war
sie einigermaßen stolz auf ihre Eltern gewesen, obwohl sie peinliche Dinge
taten, wie zum Beispiel bei Demonstrationen gegen Atomwaffen mitzumarschieren,
obgleich diese Form des Protests längst überholt und von einer Art modischer
Anarchie abgelöst worden war. Aber jetzt, nachdem sie Oliver kennengelernt
hatte, erschienen sie ihr plötzlich hoffnungslos mittelständisch und eher so
wie die Eltern aller anderen auch.
    Oliver redete nicht gern über seine Herkunft,
doch aus den wenigen Informationen, die er ins Gespräch einfließen ließ und auf
die sie sich stürzte wie ein kleiner Vogel auf Brotkrumen, hatte sie
geschlossen, daß er in ärmlichen Verhältnissen in Liverpool aufgewachsen und
mit achtzehn fortgelaufen und zur See gegangen war. Er hatte ein Zigeunerdasein
geführt, das sich gut mit seiner zigeunerhaften Erscheinung vertrug. Er hatte
die Welt gesehen. Er war hochintelligent, und da er sich alles selbst
beigebracht hatte, war Gemma der Meinung, seine Ansichten zu allen möglichen
Dingen seien relevanter als die Auffassungen anderer Leute. Er hatte sich mit
einer angeborenen Geistesgegenwart durchs Leben geschlagen. Alles, was er getan
hatte, war in einen strahlenden Glanz getaucht. Alles, was sie je in ihrem
Leben getan hatte, erschien ihr im Gegensatz dazu äußerst gewöhnlich. Nachdem
sie Oliver kennengelernt hatte, wurde Gemmas Leben zu einer endlosen Herausforderung,
einer ewigwährenden Probe, die sie bestehen mußte, um seinen Beifall zu
erringen.
    Manchmal hatte sie das Gefühl, es ihm recht
gemacht zu haben. Dann sah er sie liebevoll an oder strich ihr unsanft über das
Haar, was dazu führte, daß hinterher noch stundenlang die Haut in ihrem Nacken
prickelte. Er hatte Arbeiterhände, breit und fest, nicht die weichen Hände
eines Jungen. Einmal kam er spät von einer Party nach Hause und fand sie
schlafend auf dem Sofa vor. (In Wirklichkeit schlief sie gar nicht, sondern tat
nur so, für den Fall, er könnte den — durchaus berechtigten — Verdacht hegen,
sie sei aufgeblieben, um auf ihn zu warten.) Er beugte sich herunter und küßte
sie zart auf den Mund. Als er sich wieder aufrichtete, spürte sie, daß er
liebevoll auf sie herabschaute, so wie man schlafende Kinder betrachtet. Sie
hatte sich danach verzehrt, er möge nicht aufhören, sie zu küssen, damit sie
verschlafen zu sich kommen und so tun konnte, als sei ihr nicht ganz klar, was
geschah, und dann würden sie sich im Wohnzimmer auf dem Fußboden lieben.
    Genauso würde es nämlich sein, wenn es endlich
dazu käme, sagte sie sich; die Anziehungskraft, die zwischen ihnen herrschte,
würde sie überwältigen, und sie würden sich beide davon mitreißen lassen und
gierig übereinander herfallen. Es mußte sein. Seit er sie das erste Mal
angesehen hatte, wußte sie, daß es dazu kommen mußte.
    Sie konnte nicht darüber reden, wie sehr sie
sich zu ihm hingezogen fühlte. Ihr fehlte das Vokabular. Manchmal fühlte sie
sich der Situation nicht gewachsen und kam sich vor wie eines dieser
mittelständischen Mädchen in den Schwarzweißfilmen aus den Sechzigern, die
Oliver so sehr bewunderte, das Mädchen, das von dem Helden aus der
Arbeiterklasse ständig angeschrien wird, weil er sie für ihre Privilegien und
ihr oberflächliches Feingefühl bestrafen will. Das sollte nicht etwa heißen,
daß Oliver sie jemals angeschrien hätte, doch sein Zorn lungerte finster in
seiner Nähe herum, und manchmal kam es zu Ausbrüchen, die absolut
unverständlich waren. Wenn sie sich zu sehr bemühte, ihm alles recht zu machen,
dann ärgerte ihn das. Einmal hatte er gesagt, wie sehr er Marmite-Schnitten
mochte, als sie ihn gefragt hatte, was er gern zum Tee hätte.
    »Marmite, das schmelzend in warmen Toast
hineinläuft, davon könnte ich mich ernähren«, hatte er gesagt und es so
hingestellt, als würde einem dieses Gericht das Wasser im Mund zusammenlaufen
lassen.
    Anschließend hatte sie ihm tagelang morgens
Toast mit Marmite, dieser süßen Hefepaste, zu seinem Tee serviert, und wenn er
von der Bibliothek zurückkam, hatte sie ihm Marmite-Toast angeboten, bis er sie
mit seinem seltsam zornigen Lächeln angesehen und gesagt hatte: »Um Gottes
willen, Gemma, du verstehst dich wahrhaftig darauf, anderen den Spaß zu
verderben!«
    Dieser Satz hatte sie tagelang nicht in Ruhe
gelassen, und sie hatte ihm immer mehr Bedeutung beigemessen und sich damit
herumgequält, ohne zu wissen, wie sie den Schaden

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